Auf schmalen Kamm geritten
Die Wucht, mit der Nunn mit Worten auf den sich brechenden Wellen reiten kann, hätte man sich auch in den Dialogen, im gesamten Spannungsbogen des Romans gewünscht. Die Wellen, die Nunn durchaus mit Sprache schlagen kann, tragen nicht durch das Buch, laufen schaumschlagend ins Leere aus.
Surfer haben ihre eigenen Legenden. Und Surfer haben ihr eigenes Vokabular. Das bekommt zu spüren, wer sich mit Kem Nunn auf die Suche nach „Heart Attacks“, einem Wellen-Mythos irgendwo im Norden Kaliforniens, dem letzten „Secret-spot“ begibt. Da wird gefachsimpelt über „Serien von Close-outs“, „Nordswell“, verschiedenste Brandungs- Wellen- und Surfboardarten, dass der Laie nur so staunt und unwissend weiterblättert, denn ein Glossar fehlt. Nur gut, dass dieses ganze Surferlatein für die Handlung letztlich kaum von Bedeutung ist. Dass es hier um Träume geht, um die große Herausforderung, aber auch um das große Geld – das ist auch ohne Fachwissen erkennbar.
Ein abgehalfterter, ehemals szenebekannter Surf-Fotograf und zwei junge Talente werden nach Nord-Kalifornien geschickt, um dort von der Surf-Legende Drew Harmon nach Heart Attacks geführt zu werden und mit unvergleichlichen Fotos zurückzukehren. Der sagenumwobene Surf-Ort befindet sich allerdings nicht nur in überaus unzugänglichem Gebiet, sondern auch noch auf Indianer-Territorium, um das zu allem Überfluss Stammesstreitigkeiten bestehen. Als bei einem ersten Foto-Shooting ein Indianerjunge durch Verschulden der Surfer ums Leben kommt, eskaliert die bereits angespannte Situation.
Nachdem Nunns Roman zunächst recht träge beginnt und den Anschein macht, eher für Surf-Insider geschrieben worden zu sein, reißt mich nach mehr als hundert Seiten plötzlich eine gewaltige Welle aus der Lethargie. Nunns Schilderung dieses ersten Foto-Shootings lässt die Gewalt des tosenden Meeres aus den Seiten nach dem Leser greifen und ihn die Kraft der Wellen spüren.
Was danach folgt, ist eine leidlich spannende Verfolgungsjagd: Die Surfer jagen weiter der mythischen Welle hinterher, während Rache schwörende Indianer Drews Ehefrau kidnappen und ihnen dicht auf den Fersen sind. Der Roman krankt an der klischeemäßigen Darstellung des Surfer-Wahns, erscheint in dem Versuch, die Problematik der Indianer-Reservate mit einzubringen, zu bemüht. Einzig die Figur der Ehefrau Drews ragt aus der Ansammlung von Stereotypen heraus. Letztlich ist „Wo Legenden sterben“ nur trivial, dabei krampfhaft um Bedeutung bemüht. Die Wucht, mit der Nunn mit Worten auf den sich brechenden Wellen reiten kann, hätte man sich auch in den Dialogen, im gesamten Spannungsbogen des Romans gewünscht. Die Wellen, die Nunn durchaus mit Sprache schlagen kann, tragen nicht durch das Buch, laufen schaumschlagend ins Leere aus.
Frank Schorneck
Kem Nunn: Wo Legenden sterben. Deutsch von Bernd W. Holzrichter. DuMont, 392 Seiten, 46 DM.