Geschrieben am 6. Februar 2013 von für Bücher, Litmag

Kenneth Slawenski: Das verborgene Leben des J. D. Salinger

Kenneth Slawenski _ J.D. SalingerSchriftsteller auf der Flucht

– J.D. Salinger und die Öffentlichkeit: Es war – und ist es immer noch – eine interessante Frage, warum dieser Schriftsteller, der einen so großen Erfolg mit seinem berühmten Roman „Der Fänger im Roggen“ hatte, sich so aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Der jahrzehntelange Rückzug Salingers war – folgen wir Kenneth Slawenskis Biografie „Das verborgene Leben des J.D. Salinger“ – noch radikaler als vorgestellt. Seit 1965 hat er nichts mehr veröffentlicht; er gab so gut wie keine Interviews (sein letztes datiert aus dem Jahr 1980) und er hasste es fotografiert zu werden. Keine Pressekonferenzen, keine Lesungen, keine Fotoshootings, keine gewichtigen Äußerungen zu gewichtigen Themen. Das war nicht der Eitelkeit oder einer Pose geschuldet. Salinger hielt Öffentlichkeit tatsächlich nicht aus. Von Christiane Geldmacher

J.D. Salinger wurde am 1. Januar 1919 in New York mit polnisch-jüdischen und schottisch-irischen Wurzeln geboren. Seiner Familie ging es materiell gut; in Manhattan besuchte er eine Privatschule, anschließend ging er auf die Valley Forge Military Academy in Wayne, Pennsylvania. Schon früh schrieb er erste Kurzgeschichten, er reiste viel, unter anderem nach Europa. In Wien versuchte er sich an einer Metzgerlehre, er studierte einige Semester, jedoch ohne Abschluss. 1941 wurde er eingezogen und nahm an zahlreichen Feldzügen der Alliierten teil. U.a. kämpfte er monatelang im Hürtgenwald in der Nordeifel, wo er Hemingway zum zweiten Mal in diesem Krieg traf. Später blieb er noch einige Zeit in Deutschland und heiratete die Ärztin Sylvia Welter. Die Ehe zerbrach, als Salinger in die Staaten zurückkehrte. In den U.S.A. lernte er Claire Douglas kennen, heiratete sie und bekam zwei Kinder mit ihr. Diese Ehe hielt 12 Jahre, dann flüchtete Claire vor diesem schrulligen Einsiedler. Ende der 80er Jahre heiratete Salinger zum dritten Mal. Mit der Krankenschwester Colleen O’Neill blieb er bis zum Schluss zusammen. In Cornish, New Hampshire, starb er am 27. Januar 2010 (Stefen Beuse bei CM zum Tod von Salinger).

Salingers Werkschau: zahlreiche Kurzgeschichten,  Der Fänger im Roggen (1951), Neun Erzählungen (1953), Franny und Zooey (1961), Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute und Seymour wird vorgestellt (1963), Hapworth 16 1924 (1964).

Seit 1965: Funkstille.

Ein Autor entzieht sich

Kenneth Slawenski zeigt, dass Salinger nicht immer so war. Zu Anfang seiner Karriere war er durchaus ein ehrgeiziger, geselliger Autor. Er verkehrte mit der High Society und der  Literaturszene New Yorks, sein Habitat war das Story Magazine, später schaffte er es in den New Yorker. Doch als der Erfolg endlich kam – Salinger hatte Brüche in seiner Biografie –  wurde er ihm gleich zu viel. Schon in der Vorbereitungsphase des Erscheinens seines Romans „Der Fänger im Roggen“entzog er sich durcheine 7-wöchige Reise nach Großbritannien, während der er so gut wie nie Agent, Lektor und Verlag auffindbar war. Dabei schlug sein Buch sofort wie eine Bombe in den Staaten ein; er kam sofort auf die Bestsellerliste.

Salinger konnte es jedoch gar nicht abwarten, dass die Verkaufszahlen wieder sanken, damit wieder Ruhe einkehrte. Doch davon konnte natürlich keine Rede sein. Um einen weiteren Roman zu schreiben, zog er sich in eine kleine dunkle Wohnung in Manhattan mit schwarzen Möbeln und schwarzer Bettwäsche zurück. Aber auch hier fühlte er sich zu sehr abgelenkt, obwohl er nicht ans Telefon ging und auch keine Einladungen annahm. Eine typisch deprimierende Salingerantwort war: „Nein, ich kann heute Abend und die nächsten sieben Jahre leider nicht bei Ihnen vorbeikommen.“

Salinger wollte nicht unhöflich sein. Er versicherte rundum, dass er Freundschaften sehr schätze, sie aber frei von jedem direktem Kontakt – auch brieflichem – bleiben müssten. Kritiken an seinen Büchern vertrug er schlecht, egal, ob positiv oder negativ. Er ertrug es nicht, dass man über ihn schrieb, dass man über ihn sprach. Er war ein Autor, der Freundschaften beendete, wenn ihm ein Buchcover nicht zur Prüfung vorgelegt worden war. Der Klappentext musste zu hundert Prozent stimmen. Er wollte keine Fotos auf dem Umschlag. Er hasste biografische Angaben.

Ambivalenter Ansatz

Er hasste also biografische Angaben. Das macht den Lesegenuss von Slawenskis Buch ambivalent, man liest es nicht ohne schlechtes Gewissen. Kenneth Slawenski scheint das zu sein, was man einen echten Fan nennt. Das zeigen seine vielen epischen und nicht sehr pointierten Nacherzählungen der Geschichten Salingers. Seit Jahren betreibt er die Webseite deadcaulfields.  Aber in der Logik der von ihm beschriebenen Persönlichkeit Salingers fehlt ein Bekenntnis des von ihm so sehr verehrten Autors. Aber klar, sie müsste ungefähr so lauten: Großartig, J.D. Salinger, wie du, äh, deine Privatsphäre geschützt hast.

Das ist die Tragik des Lebens von Salinger: Niemand scheint ihn genuin in seinem Bedürfnis nach Ruhe unterstützt zu haben, sieht man vielleicht von seinem Sohn Matt ab (seine Tochter schrieb ein unerwünschtes Buch über das Leben mit ihrem Vater). Niemand aus dem Literaturbetrieb sagte jemals: Dies ist ein Autor, der keine Öffentlichkeit will. Der aus dem Scheinwerferlicht heraus- und nicht hineintritt. Lasst diesen Mann in Frieden; es ist sein Wunsch.

Der Spectator, zitiert der Klappentext des Buches, schrieb: „Falls Salinger Sympathie für ein Buch über sich selbst aufbringen würde, dann wäre es vermutlich dieses.“

Nun – das ist nicht anzunehmen.

In einem Update des Autors von 2012 auf deadcaulfield fragt Slawenski sich, wo J.D. Salingers Max Brod bleibt. Damit meint er vermutlich jemanden, dem die Wünsche des Autors genauso gleichgültig waren wie Max Brod diejenigen Franz Kafkas: Max Brod veröffentlichte entgegen Kafkas Anweisungen nicht nur seine Romane und Erzählungen, sondern auch seine sehr privaten Briefe und Tagebücher, weil er der Ansicht war, dass ein solches Werk der Welt nicht vorenthalten werden durfte.

Noch hat J.D. Salinger die Kontrolle über sein Werk. Seine restriktive Öffentlichkeitsarbeit wirkt aber auch über seinen Tod hinaus. Es heißt, er habe 12-15 Romane geschrieben, nur zu seinem Vergnügen, an die der  Literaturbetrieb einfach nicht herankommt. Irgendwann kann er sicher darüber lachen.

Christiane Geldmacher

Kenneth Slawenski: Das verborgene Leben des J. D. Salinger (J.D. Salinger, A Life). Biografie. Deutsch von Yamin von Rauch.  Berlin: Rogner und Bernhard 2012. 440 Seiten. 29,95 Euro.
Zum Blog von Christiane Geldmacher:

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