Geschrieben am 2. März 2008 von für Bücher, Litmag

Kerstin Duken: Jahrhundertsommer

Alles im Griff

Kerstin Duken ist mit Jahrhundertsommer kein Jahrhundertroman gelungen, aber das eindringliche Psychogramm eines Zusammenbruchs erzählt mit einer ausgefeilten Sprache, lebensnahen Dialogen und überraschenden Wendungen. Von Frank Schorneck

Da hat eine 41-jährige Werbetexterin einen Roman geschrieben und natürlich beginnt dieser mit einem Meeting in einer Werbeagentur mit Panoramafensterblick auf die Berliner Skyline, die Porsche-Aktentasche der Ich-Erzählerin Iris wirkt als Surrogat des Traums vom 911er, in deren Penthouse-Wohnung spielt die B&O-Stereoanlage.

Recht konventionell beginnt Kerstin Dukens Roman Jahrhundertsommer, durchaus scharfsichtig und ironisch geschrieben, doch hätte sie mit diesem nicht den Brigitte-Romanpreis erhalten und hätten nicht die Jurymitglieder Juli Zeh und Birgit Vanderbeke mit ihrem guten Ruf Erwartungen geweckt, hätte ich das Buch vielleicht schon nach den ersten Seiten beiseite gelegt. Doch nach knapp zwanzig bekommt die bunte Werbewelt einen Riss: Iris wird nach einem Club-Besuch überfallen. Oberflächlich betrachtet, ist ihr nicht viel passiert. Sie geht nicht zur Polizei, nicht zum Arzt, sie will sich nicht rechtfertigen müssen dafür, was sie um diese Zeit in dieser Gegend suchte, dass sie als Mann gekleidet war, dass sie getrunken hatte. Doch die tiefste Wunde sitzt weit unter der Haut. Der Überfall wirft sie psychisch vollkommen aus der Bahn. Sie verlässt die Wohnung kaum noch, reagiert nicht auf Anrufe weder von ihrem Büro noch von der Familie. Der Einkauf im Supermarkt wird für sie zum Spießrutenlauf. Mit Alkohol und Zigaretten betäubt Iris den Schmerz.

Psychogramm eines Zusammenbruchs

Kerstin Duken vermag diese Wendungen in ihrem Roman tatsächlich zu schildern, sogar fast ohne Klischees zu bemühen – und wenn sie doch ein Klischee bedient, dann hat sie in Iris eine Protagonistin, die dieses Klischee hinter ihrem Verhalten selbst bloßstellt. Die Spirale abwärts scheint gestoppt, als Iris sich wieder zu fangen scheint und in die Werbebranche zurückkehrt. Doch fühlt sie nichts mehr; nur wenn sie sich mit einem Messer die Haut ritzt, spürt sie ihre Existenz. Sie beginnt, in ihrer freien Zeit ans Gericht zu gehen, um dort Strafprozesse zu verfolgen, sie schleppt wahllos Männer und Frauen ab.
Der Titel Jahrhundertsommer bezieht sich auf den Hitzesommer 2003, in dem der weitaus größte Teil des Romans spielt. Eingerahmt wird er allerdings von zwei Fußballweltmeisterschaften, die unaufdringlich in die Handlung eingeflochten sind.
Kerstin Duken ist vielleicht kein Jahrhundertroman gelungen, aber das eindringliche Psychogramm eines Zusammenbruchs, der nicht bekannten Mustern entspricht, sondern für die Außenwelt beinahe unsichtbar abläuft. Selbst die Ansiedlung der Geschichte im Werber-Milieu erweist sich als schlüssig, denn wo kommt es mehr auf den äußeren Schein an als gerade in dieser Branche, in der das Zeigen von Schwächen das Ende der Karriere bedeuten kann? Das Debüt überzeugt mit ausgefeilter Sprache, lebensnahen Dialogen und überraschenden Wendungen.

Frank Schorneck

Kerstin Duken: Jahrhundertsommer. Goldmann 2007. 284 Seiten. 17,95 Euro.