Geschrieben am 14. Dezember 2013 von für Bücher, Crimemag

Klassiker-Check: Erskine Childers/Sam Llewellyn

Sam_Llewellyn_Tödliches_WattLetzte Heuler

‒ Segelbücher von Erskine Childers und Sam Llewellyn und die Angst vor Deutschland im Wandel der Zeit. Ein Klassiker-Check von Lutz Göllner.

Segelboote und Bücher sollten eigentlich natürliche Feinde sein. Ich meine: Wo verstaut man auf einem engen Boot das unhandliche Papierzeugs? Was tun, wenn das Buch nass wird? Und hat man beim Segeln überhaupt Zeit zu lesen? Trotzdem bieten sich ja doch einige Bücher für eine kleine, aber feine Segelbibliothek an: Patrick O’Brians „Aubrey & Maturin“-Serie kommt da in den Sinn (dazu TW auf kaliber.38), der ziemlich fiese Psychothriller „Todesstille“ von Charles Williams und natürlich Erskine Childers „Rätsel der Sandbank“, jener Urvater aller Spionageromane.

Erskine_Childers_Das_Rätsel_der_SandbankIm Jahr 1903 erschien der visionäre Band, in dem zwei höchst britische Gentlemen, der Ich-Erzähler Carruthers und sein ehemaliger Kommilitone Davies, mit einem Einhandsegler durch das deutsche Wattenmeer kreuzen. Was wie ein Ferienbuch beginnt, entwickelt sich schnell zu einer spannenden Spionagegeschichte, denn Davies arbeitet für die Admiralität und will genaue Seekarten der ostfriesischen Inseln erstellen. Bald kommt der schwedische Kaufmann Dollmann ins Spiel, der Davies nach dem Leben trachtet. Und dann verliebt sich Carruthers ausgerechnet in Clara, Dollmanns Tochter. Die beiden Amateurspione kommen einer ungeheuerlichen Verschwörung auf die Spur, denn Albion droht eine Invasion durch die kaiserliche Flotte und nicht jeder Protagonist der Story ist das, was er zu sein vorgibt. Carruthers und Davies müssen mehrmals um ihr Leben segeln.

Der Ire Robert Erskine Childers, geboren 1870 in der Nähe von Dublin, Angestellter im Unterhaus, Freiwilliger im Burenkrieg, Offizier im 1. Weltkrieg und selbst begeisterter Einhandsegler war als er seinen Roman verfasste noch ein Anhänger des britischen Empire. Erst später in seinem Leben wendete er sich der irischen Freiheitsbewegung zu und schmuggelte, zusammen mit seiner Ehefrau eigenhändig die Waffen für den Osteraufstand 1916 auf die Grüne Insel. Da er die Teilung Irlands strikt ablehnte, wurde er 1922 von Soldaten des Freistaates exekutiert. Seine letzten Worte lauteten: „Macht einen Schritt nach vorne, Jungs. So wird es einfacher.“

Robert Erskine Childers

Robert Erskine Childers

Paranoia

Doch 1903, als „Riddle Of The Sands“ erschien, war Childers noch enorm einflussreich, sein einziger Roman befeuerte die britische Paranoia gegen Deutschland. Niemand geringeres als Winston Churchill bestätigte später, dass die Marinebasen in Invergordon, Firth of Forth und Scapa Flow ausgebaut wurden, weil die Warnung von Childers so eindringlich gewesen war. Aus 110 Jahren Abstand wirken einige der antideutschen Ressentiments eher komisch. Aber selbst nach heutigen Standards ist Childers Buch immer noch rasant und spannend. Und die Siele, Prile und Tonnen, die Sandbänke mit ihren Seehunden und Heulern zwischen Inseln und Festland gibt es, so bestätigt ein lesender Segler auf Amazon, heute noch.

Und dann gibt es ja da noch die hierzulande eher unbekannte Fortsetzung von Sam Llewellyn „Shadow In The Sand“, die auf Deutsch etwas fantasielos „Tödliches Watt“ heißt und im Jahr 1999 erschienen ist. Der Waliser Llewellyn ist – wie Childers – begeisterter Segler und hat einen Teil seiner Karriere darauf aufgebaut, Fortsetzungen von anderen Autoren zu schreiben; so hat er gleich zwei Weiterführungen von Alistair MacLeans „Navarone“-Geschichten verfasst. „Tödliches Watt“ ist nun weniger eine Fortsetzung von „Rätsel der Sandbank“, als vielmehr ein spin-off. Llewellyns Hauptfigur Charlie Webb begegnet zwar Carruthers und Davies, aber im Gegensatz zu den beiden Gentlemen ist Webb ein Proll, ein Matrose, der nicht versteht, wie man „zum Vergnügen segeln“ kann.

© 2013 Sam Llewellyn

© 2013 Sam Llewellyn

Metabene und Realität

Entsprechend rauher, zeitgemäßer geht es bei Llewellyn zu. Ganz nebenbei beginnt auch noch ein hübsches Spiel mit der Metaebene und Realität, denn Carruthers ist niemand anderes als Erskine Childers. Während die Deutschen bei Childers eine Horde kriegslüsterner Hunnen sind, beeindrucken sie bei Llewellyn vor allen Dingen durch ihre Effektivität. Man kann das auch so interpretieren: Im Jahr 1903 war die Angst vor dem kriegerischen Deutschen groß. 95 Jahre später fühlen sich die Briten – trotz zwei gewonnener Weltkriege – eher wirtschaftlich übertölpelt. Ein spannender Schmöker ist Llewellyn trotzdem gelungen, auch er könnte Bestandteil einer Segelschiff-Bibliothek werden.

PS: Childers Buch wurde übrigens mehrfach verfilmt. Die komplette britische Version (deutsche Titel: „Geheimkommando R.O.T.S.“, bzw. „Bei Nacht und Nebel“) von 1978 mit Michael York und Jenny Agutter in den Hauptrollen kann man sich hier angucken. Lustigerweise produzierte ausgerechnet der deutsche Sender Radio Bremen im Jahr 1984 für damals fürstliche sechs Millionen Mark eine zehnteilige Vorabendserie mit Burghart Klaußner, Peter Sattmann, Gunnar Möller (seine erste Rolle, nachdem er – pikanterweise – aus britischer Haft entlassen wurde, er hatte in London im Affekt seine Frau erschlagen) und Isabell Varell. Gleichzeitig entstand ein eigenständiger TV-Spielfilm, der allerdings erst 1987 versendet wurde, den man angeblich immer noch beim Mitschnitt-Service von Radio Bremen bestellen kann.

Lutz Göllner

Erskine Childers: Das Rätsel der Sandbank. Aus dem Englischen von Hubert Deymann. Diogenes, Zürich 1975 ff. 336 Seiten, 10,90 Euro. Der Ullstein Verlag brachte 1995 eine Neuübersetzung von Wolfgang Gottschalk unter dem Titel „Das Rätsel von Memmert Sand“ heraus.
Sam Llewellyn: Tödliches Watt. Aus dem Englischen von Horst Rehse. Berlin: Ullstein 1999. 388 Seiten. 6 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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