Geschrieben am 19. Mai 2012 von für Bücher, Crimemag

Klassiker-Check: Robert B. Parker

 Die Rückkehr des Privatdetektivs, revisited

– Ältere Menschen können sich vielleicht noch an die gemischten Gefühle erinnern – an die ersten Robert B. Parker-Romane mit Spenser, dem Mike-Hammer-von-links (TW) und seiner immer nervigeren Susan Silverman und dem netten Hawk. Aber irgendwie mochte man sie doch. Und heute, mit viel zeitlichem und intellektuellem Abstand mag man sie noch viel lieber. Ein Klassiker-Check von Joachim Feldmann.

Kommissar Maigret hat den Dienst quittiert. Auch die Abschiedsvorstellung des belgischen Meisterdetektivs Hercule Poirot liegt bereits Monate zurück. Selbst der Haudrauf Mike Hammer, Alptraum des politisch korrekten Krimilesers, befindet sich im einstweiligen Ruhestand. Und zum vorletzten Mal gräbt Lew Archer dunkle Familiengeheimnisse aus, um sie dem grellen Licht der kalifornischen Sonne auszusetzen.

Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts treten gleich mehrere Generationen von Ermittlerfiguren unterschiedlichsten Temperaments ab, und Nachfolger scheinen nicht in Sicht. Doch der Eindruck trügt. Ausgerechnet ein Literaturwissenschaftler, der nach einer Dissertation über die Rolle des Privatdetektivs in den Romanen Chandlers, Hammetts und Ross Macdonalds theoretisches Wissen in die Praxis umsetzen will, beweist mit seinem Krimidebüt die Vitalität des Genres. 1973 erscheint Robert B. Parkers erster Roman um den Bostoner Privatermittler Spenser (kein Vorname).

Auftritt Spenser

Der Aufbau von „Spenser and the Godwulf Manuscript“ (dt. „Die Schnauze voll Gerechtigkeit“, 1976; oder „Spenser und das gestohlene Manuskript“, 1984) ist klassisch. Eine spätmittelalterliche Handschrift ist aus einer Universitätsbibliothek gestohlen worden und soll nur gegen Zahlung einer hohen Summe zurückgegeben werden. Spenser erhält den Auftrag, das wertvolle Stück zurückzuholen. Die Spur führt zu einer radikalen Studentengruppe. Dann geschieht ein Mord. Und der Privatschnüffler bekommt es nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit einem stadtbekannten Mafioso zu tun. Zudem gilt es, eine psychisch labile junge Frau mit problematischem familiärem Hintergrund vom Tatverdacht zu befreien. Ganz schön viel Arbeit, selbst für einen durchtrainierten 37-Jährigen. Spenser stellt Nachforschungen an, prügelt sich mit dem Gorilla des Gangsterbosses und geht sowohl mit seinem Schützling als auch mit dessen Mutter ins Bett, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Nach gut zwei Dritteln des Romans fällt ihm das entscheidende Beweisstück in die Hände. Von da an sind es noch um die 60 Seiten bis zum bleihaltigen Finale.

Die Auflösung überrascht nicht. Als wahrer Schurke entpuppt sich ein Professor für mittelalterliche Literatur, dem der Kampf gegen das Establishment jedes Mittel heiligt, vom Heroinhandel bis zum Mord. Auch der Diebstahl der Handschrift geht auf sein Konto.

Selbstironie

Doch der Plot, dessen schwächster Punkt erreicht wird, wenn Spenser ganz in der Rolle des weißen Ritters aufgeht und die junge Dame mit Waffengewalt aus den Fängen eines eher albernen als finsteren Kults befreit, ist hier Nebensache. Parker hat seinen Helden von vorneherein als selbstironische Variante des traditionellen Privatermittlers amerikanischer Prägung angelegt, dessen Schlagfertigkeit sich nicht auf die Fäuste – Spenser hat mal professionell geboxt – beschränkt. So sind es vor allem die Dialoge, welche diesen und die 38 Folgeromane zum Lesevergnügen machen. Knapp, witzig und prägnant. Mehr als einmal wird der Detektiv von seinen Gesprächspartnern gefragt, ob er nicht lieber eine Karriere als Komiker anstreben möchte.

Doch Spenser hat auch eine sentimentale Seite. Und er ist literarisch gebildet. Als er eine Zeugin ermordet in ihrer Wohnung auffindet, kommen ihm Zeilen aus einem Gedicht in den Sinn. Die Behauptung, ihm sei entfallen, wer es schrieb, glaubt man nicht. (Es handelt sich um einen Auszug aus W. H. Audens „Musee des Beaux Arts“.) Auch verweist er gern auf den Shakespeare-Zeitgenossen Edmund Spenser („The Faerie Queen“), um die Schreibweise seines Namens zu erklären.

Sidekicks

Seinen ersten Fall muss Spenser noch allein lösen. Erst im zweiten Roman „God Save the Child“ (1974; dt. „Kevins Weg ins andere Leben“, 1976) lernt er seine spätere Lebensgefährtin, die Psychologin Susan Silverman, kennen. Sidekick Hawk gehört ab Band 4 der Serie (Promised Land, 1977; dt. „Leichte Beute für Profis, 1977) zum festen Personal. Der gefühlsarme Profikiller sorgt nicht nur für mehr Action, sondern auch für moralisch-ethische Desorientierung (vgl. hier). Mag Spenser auch ein Herz aus Gold haben, die Welt, in der er sein Auskommen findet, ist ein Dschungel. Daran lässt Robert B. Parker, der am 18. Januar 2010 an seinem Schreibtisch einem Herzinfarkt erlag, keinen Zweifel. Man sagt, er habe an einem neuen Spenser gearbeitet. Vielleicht handelt es sich ja um Fall Nr. 39, „Sixkill“, der in den USA bereits als Taschenbuch vorliegt.

Deutsche Ausgaben der früheren Romane, in den siebziger und achtziger Jahren bei Scherz und Ullstein verlegt, sind nur noch antiquarisch zu finden. Die Preise scheinen sich, ähnlich wie bei Richard Stark (a.k.a. Donald E. Westlake), einem anderen Krimiklassiker, nach oben zu entwickeln. Um das „Spätwerk“ kümmert sich seit einigen Jahren der Bielefelder Pendragon Verlag, in dem mit „Bitteres Ende“ (The Professional. 2009) just Band 38 der Reihe erschienen ist.

Erhalten bleibt uns der Detektiv auch nach dem Tod seines Erfinders. Der Schriftsteller Ace Atkins führt die Serie im Auftrag der Erben Parkers weiter und legt mit „Lullaby“ in diesen Tagen den ersten Roman der „neuen Folge“ vor. Und das ist in der populären Literatur Indiz genug für den Klassikerstatus.

Joachim Feldmann

Autorenfoto: Pendragon Verlag

Mehr zu Parker bei Kaliber38. Spenser bei Pendragon. Am Erker.

 

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