Bekenntnisse eines Fälschers
Modick ist ein Insider; er weiß, wovon er schreibt, wenn er die Mechanismen der Literaturindustrie gnadenlos offen legt. Von Petra Vesper
Wie schreibt man einen Bestseller – oder: Wie werde ich reich und berühmt? Klaus Modick, der sich in seinen Romanen seit vielen Jahren immer wieder mit dem Schreiben und dem Literaturbetrieb beschäftigt, liefert in seinem neuen Roman Bestseller das Patentrezept für einen durchschlagenden Erfolg auf dem Buchmarkt und schafft so ganz nebenbei eine herrlich böse Satire auf den Literaturbetrieb.
Sein Anti-Held und Ich-Erzähler Lukas Domcik (der Name ist unschwer als ein Anagramm von Klaus Modick zu erkennen) ist ein seit Jahren mittelprächtig erfolgloser Autor. Sein langjähriger Lektor Ralf Scholz beim Frankfurter Lindbrunn-Verlag, der inzwischen mehr Produktmanager denn Lektor ist und der die Meinung vertritt, dass sich „unter den heutzutage herrschenden Marktbedingungen … jedes erzählende Werk“ an der Frage messen lassen müsse: „Was würde Hollywood dazu sagen?“, willigt zwar ein, Domciks neues Buch „Der König von Elba“ zu veröffentlichen („Autorenpflege“), rät ihm aber dringend dazu, doch mal etwas anderes zu schreiben. Da für Domcik Krimis oder historische Romane nicht in Frage kommen, rät Scholz ihm zur „Dokufiktion“, die momentan sehr erfolgreich sei („Startauflage 30.000 bis 40.000, mindestens“) und zwar zum „absolut krischenfesten Dauerbrenner: … Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg, Holocaust, Widerstand… Ohne diese Scheiße hätten es Böll und Grass nie zum Nobelpreis gebracht.“
Liebesbriefe, Elogen auf den Führer und das tausendjährige Reich
Wie aber schreibt man so einen Bestseller? Eigentlich sind die Zutaten und das Rezept ganz einfach – und Domcik versteht ja grundsätzlich sein Handwerk: Wie es der Zufall will, hat er vor kurzem einen alten Koffer seiner noch älteren Tante Thea geerbt, randvoll mit ihren Manuskripten. Glühende Liebesbriefe sind ebenso dabei wie Elogen auf den Führer und das tausendjährige Reich oder katholische Bekenntnisprosa, die sie nach ihrer Läuterung nach 1945 verfasste. Aus dieser „literarischen“ Hinterlassenschaft strickt Domcik nun Tante Theas Lebensgeschichte neu – die Story ist reinste Kolportage: Die glühende Anhängerin des Nationalsozialismus wird noch während des Krieges geläutert durch ihre Liebe zu einem jüdischen Arzt. Die Kriegswirren reißen sie auseinander. Flucht. Vertreibung. Doch nach dem Krieg wird sie durch ihn gerettet und sie beginnen ein neues Leben in England. Das Exposé mit dem Titel „Vom Memelstrand zum Themseufer. Die Odyssee einer tapferen Frau durch tausendjährige Zeit“ ist schlicht kitschig, hanebüchen und so klischeebeladen, dass es schwer fällt zu glauben, jemand könnte sie tatsächlich für bare Münze nehmen. Doch Scholz und der Lindbrunn-Verlag sind begeistert – zumal Domcik zur erfundenen Geschichte auch gleich noch die passende „Autorin“ hinzu erfindet: Die englische Aushilfskellnerin Rachel aus seinem Stammlokal – Gelegenheitsschauspielerin mit Hang zu kitschiger Lyrik – auf die Domcik nicht nur ein Auge geworfen hat, wird zu Rachel Levinson, Halbjüdin und Großenkelin von Tante Thea. Rachel ist bildhübsch, kann aber leider keinen einzigen Satz geradeaus schreiben. Doch das macht nichts: Auf dem Autorenfoto sieht sie einfach hinreißend aus und ihre Rolle als hoffnungsvolle Jung-Autorin, die das ergreifende Leben ihrer verstorbenen Verwandten zu Papier gebracht hat, spielt Rachel gut – leider ein wenig zu gut, wie Domcik zu spät realisiert.
Denn sein Plan geht auf: Das Buch wird zum Bestseller und Rachel zum Medienstar – doch sie denkt gar nicht daran, die wahre Autorenschaft preiszugeben… Domcik schafft zwar seinen Bestseller – doch was nützt ihm das, wenn niemand weiß, dass dieses Buch von ihm ist? Und wenn Rachel die Honorare ganz allein einstreicht?
Breitseite auf die gesamte Branche
Bestseller ist mehr als ein „Schlüsselroman“, denn es entlarvt nicht einzelne Akteure oder Institutionen, nein, es schießt eine volle Breitseite auf die gesamte Branche ab – einschließlich Autoren, Lektoren, Verlagsleiter, Kritiker, Medien und Leser – und prügelt ordentlich auf sie ein. Modick ist ein Insider; er weiß, wovon er schreibt, wenn er die Mechanismen der Literaturindustrie gnadenlos offen legt. Und er kennt die Sprache nur zu gut, die in dieser Branche gesprochen wird. Allein die Texte der Verlagsvorschau und der einschlägigen Kritiken zu „Vom Memelstrand“ sind Stilpersiflagen aller erster Güte, die dem Leser die Tränen in die Augen treiben. Jeder, der sich ein wenig in der Literaturbranche und ihren Abläufen auskennt, wird an diesem Roman einen Heidenspaß haben – gemischt mit reichlich Schadenfreude darüber, dass sich jemand wie Modick, der ja eigentlich Teil dieser geschlossenen Gesellschaft ist, traut, seinen Kollegen derartig böse vors Schienbein zu treten und ihnen den Spiegel vorzuhalten. Viele Freunde dürfte sich Klaus Modick mit diesem Roman nicht gemacht haben, und ein echter Bestseller ist der Bestseller auch nicht geworden. Woran liegt’s? War vielleicht doch der ein oder andere ob dieses anspielungsreichen Insiderromans ein wenig verschnupft?
Petra Vesper
Klaus Modick: Bestseller: Eichborn 2006. 272 Seiten. 19,90 Euro.