Schmerzhafte Liebe
Im letzten Jahr erregte der 1969 geborene Leander Scholz Aufsehen mit seinem Roman „Rosenfest“, in dem er den Tabubruch beging, die Geschichte von Andreas Baader und Gudrun Ensslin als Liebesgeschichte zu erzählen. Zwar haben die 68er im vergangenen Jahr in Literatur und Film eine ungeahnte Renaissance erlebt, doch durfte sich jemand dieses Themas annehmen, der die Zeit nicht selbst erlebt hat?
Nun ist Scholz in der Gegenwart angelangt – oder zumindest in den Neunzigern. Held seines neuen Romans ist Lenz, vierundzwanzig und ein Jahr alt. Vor einem Jahr hat er Hilal kennen gelernt und diese Beziehung hat ihn seiner bisherigen Welt entrückt, durch sie hat er ein neues Leben begonnen.
Die Beziehung zu Hilal ist (selbst-)zerstörerisch, ein erschreckendes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Gewalt regiert in „Windbraut“, Meinungsverschiedenheiten eskalieren in Sekundenschnelle zu Schlägereien, der Sex zwischen Lenz und Hilal trägt sado-masochistische Züge. Lenz verliert durch Hilal jegliche anderen sozialen Kontakte.
Scholz zieht von der Fehlgeburt bis zum Anstaltsaufenthalt alle Register einer tragischen Liebesgeschichte. In einer Schlüsselszene fesselt Hilal Lenz am Hals und Geschlecht mit einem Nylonfaden, der sich bei jeder Bewegung tiefer in die Haut schneidet, denn Hilal will, dass ihr Kind nicht nur unter Schmerzen geboren, sondern auch unter Schmerzen gezeugt wird.
In dieser Szene geht es Hilal nicht um Sex, hier geht es um nichts geringeres als eine bis ins letzte Detail geplante Empfängnis. Das ist ziemlich dick aufgetragen, und so symbolträchtig, ja, -überfrachtet ist der gesamte Roman. Da gibt es wundervolle Bilder, wie die häufig wiederholte Bezeugung, für Lenz habe der Atomkrieg bereits stattgefunden, wie die Visionen, die Lenzens Wahrnehmung der Welt häufig überschatten.
Doch Scholz geht ein paar Schritte zu weit. Wenn er philosophiert über das Leben und seinen Sinn, über Ernst Jünger und das Käfersammeln, vor allem aber über den Theologen und Sektenbegründer Emanuel Swedenborg, dann verliert er den Blickwinkel Lenzens außer Augen. Mit all ihren Anspielungen und Querverweisen wirken diese Passagen nicht selten maniriert und langatmig.
Und so wird auch die Schlussszene, die eigentlich hinreißend überdreht mit Klischees spielt, zu einem mit Pathos verklebten Brei, dem man die Ironie nicht so recht abnehmen will. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Frank Schorneck
Leander Scholz: Windbraut. dtv premium, 193 S., 13 Euro. ISBN: 3423242981