Räuberspistole
Sehr viel Spaß wegen seiner unfreiwilligen Komik hat uns vor Jahren die Ankündigung eines Romans von Leif Davidsen als „kosmopolitischer Thriller“ gemacht – auch, weil er US-Propaganda einfach in eine Spielhandlung umgesetzt hatte. Mit dem neuen Buch scheint’s auch nicht besser zu werden, befürchtet Kerstin Schoof.
Marcus Hoffmann ist ein einfach gestrickter Geschäftsmann, der glücklich mit seiner russischen Frau Nathalie in Kopenhagen lebt. Auf einer seiner zahlreichen Geschäftsreisen hilft er einem Russen aus der Klemme, der nachts auf den Straßen Nizzas überfallen wird. Wenig später überredet Nathalie, die mit Russland eigentlich längst abgeschlossen hatte, ihren Mann zu einer Kreuzfahrt auf der Wolga – und verschwindet spurlos. Hoffmann beschließt, nach seiner Frau zu suchen und sieht sich mit korrupten Behörden, Mafiosi in dunklen Anzügen und einer hilflosen dänischen Botschaft konfrontiert. Echte Hilfe bekommt er erst von Sascha, einem Straßenjungen mit Talent als Zauberkünstler. Und Hoffmann ruft den Russen aus Nizza an …
Piffpaff
Leif Davidsens neuer Roman ist eine wahre Räuberpistole: eine abenteuerlich konstruierte, wenig plausible Story mit viel Action, bei der man lieber nicht fragen sollte, wie „realistisch“ das Ganze eigentlich ist. Davidsens erhebt jedoch spürbar den Anspruch, seinen Lesern das heutige Russland und seine Geschichte nahezubringen, und so streift er neben der Wende unter Gorbatschow auch die Machenschaften des KGB, das Lagersystem der Sowjetunion und den Krieg in Tschetschenien. Leider räumt Davidsen genau diesen Hintergrundinformationen insgesamt zu wenig Platz ein und investiert diesen stattdessen in philosophische Monologe seiner Hauptfigur, deren betont naiv-apolitische Weltsicht insgesamt eher aufgesetzt wirkt. Als Vorlage für die Konfrontation des behüteten dänischen Managers mit der rauen Wirklichkeit dient Hoffmanns Reise in die Vergangenheit seiner Frau. Anders als in seinem überzeugenden Bestseller Der Augenblick der Wahrheit, dessen Protagonist – ein spanischer Paparazzo mit Verbindungen zur ETA – in seiner eigenen Vergangenheit nach dem Schlüssel zu einem aktuellen Verbrechen fahnden muss, bleibt Davidsens Sicht auf Russland in Der Russe aus Nizza immer durch die Außenperspektive Hoffmanns begrenzt, der nur an der Oberfläche kratzen kann.
Le Russe niçoise
Auch vielversprechende Ansätze wie ein Treffen der Hauptfigur mit einer dänischen Journalistin, die aufgrund ihrer Recherchen in Tschetschenien in Ungnade gefallen ist, werden nicht weiter verfolgt. So setzt Davidsens Krimi den gängigen Klischees, denen er auf den Grund gehen will, letztlich zu wenig entgegen. Auch wenn er den Postkommunismus atmosphärisch durchaus gekonnt inszeniert: Die gesichtslose Stadt Uglitsch, in der Nathalie verschwindet und Hoffmanns Suche in einem ehemaligen Funktionärshotel beginnt, wird man so schnell nicht vergessen. So entwickelt Der Russe aus Nizza phasenweise einen richtiggehenden Sog – als gruseliges Lesevergnügen, das sich einer schaurigen Kulisse bedient.
Kerstin Schoof
Davidsen, Leif: Der Russe aus Nizza (Den ukendte hustru, 2006). Roman. Aus dem Dänischen von Anne-Bitt Gerecke. Wien: Zsolnay Verlag 2008. 477 Seiten. 19,90 Euro.