Intelligent arrangiertes Ermittlungschaos
Der schwedische Autor Leif GW Persson erzählt in seinem aktuellen Roman von den Irrungen und Wirrungen polizeilicher Ermittlungsarbeit und eröffnet seinem stinkstiefligen Kommissar Bäckström eine glänzende Zukunft. Glänzend gemacht, findet Frank Rumpel …
Das Geradlinige scheint Leif GW Persson ein Grauen zu sein. Er mag es verwickelt und nimmt sich Zeit, die Puzzleteile sorgsam zu arrangieren. Unter 400 Seiten gelingt ihm das kaum. Muss es auch gar nicht, denn Ermittlungsarbeit ist oft langwieriges Klein-Klein, das es zusammenzufügen gilt. Liegen den Ermittlungen aber falsche Hypothesen und Schlüsse zugrunde, denen dann sämtliche Indizien passgenau untergeordnet werden (was hierzulande so oder so ähnlich wohl beim Fall um die Messerattacke auf den Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl zu beobachten war), kann das zu abenteuerlichen Ergebnissen führen. Genau darum geht es im neuen Roman des schwedischen Autors Leif GW Persson, der sein Sujet sehr genau kennt. Immerhin hat er etliche Jahre als Kriminologie-Professor für die schwedische Polizei, aber auch als Berater im Justizministerium gearbeitet.
Ein Zeitungsausträger findet am frühen Morgen in einer Stockholmer Wohnung die übel zugerichtete Leiche eines Mannes, der offensichtlich nach einem Zechgelage ermordet wurde. Zunächst gerät der Zeitungsausträger, namens Septimus Akofeli, selbst unter Verdacht, weil ein Koffer mit Bargeld verschwunden ist. Immerhin hat Akofeli einen Migrationshintergrund – für den zuständigen Kommissar Grund genug, misstrauisch zu sein. Im Laufe der Ermittlungen rückt der Fokus dann aber auf die Zechkumpane, darunter auch ein ehemaliger Kommissar. Doch beide Spuren verlaufen im Sand. Der Kommissar hat ein Alibi und der Zeitungsausträger verschwindet spurlos. Dann tauchen plötzlich neue Indizien auf, die eine Verbindung zu einem komplett aus dem Ruder gelaufenen Raubüberfall nahelegen, bei dem zwei Wachmänner ums Leben kamen. Der ermordete Säufer scheint die Buchhaltung für die Räuber besorgt zu haben.
Ekel Bäckström …
Die Ermittlungen leitet der eigenwillige Kommissar Bäckström, um den herum sich die ganze Geschichte anordnet. Er ist ein rassistischer, sexistischer Säufer, ein korrupter Cop, der, um seinen Ruf zu festigen, auch gerne mal zur Waffe greift und damit – versteht sich – nicht nur auf die Beine seiner Opfer zielt. Bäckström ermittelt mit einem kleinen Team und ist gleichzeitig im Fokus der Abteilung für innere Ermittlung. Bis vor Kurzem tat Bäckström seinen Dienst noch strafversetzt beim Dezernat für Eigentumsdelikte. Zurück in Amt und Würden wird er mit einer Mordermittlung betraut. Wie abgekartet das Spiel ist, merkt der von sich überzeugte Bäckström allerdings fast zu spät.
Persson erzählt seine Geschichte mit reichlich trockenem Humor, was sich unter anderem in seinem herrlich unsympathisch gezeichneten Bäckström zeigt. An ihm können sich seine Kollegen ebenso abarbeiten, wie die Leser. Da denkt Bäckström beim Blick in die blutverspritzte Wohnung des Opfers: „Eigentlich sollte er bei Schöner Wohnen anrufen, damit diese Einrichtungsschwuchteln mal ein volkstümliches Interieur zu sehen bekamen. Eine kleine Reportage, Hausbesuch bei sozialen Randgruppen.“
Der Superstar unter den schwedischen Krimiautoren, der vor einigen Jahren mit dem Roman Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winter einen Bestseller landete und darin den 1986 ermordeten schwedischen Premier Olof Palme zu einem Spion der USA machte, versteht es, vom Großen aufs Kleine und zurück zu zoomen. Das gilt auch für seinen aktuellen Roman, wenngleich ihm die politische Dimension abgeht. Persson weiß das Tempo seiner Geschichte zu variieren und damit auch einige Längen zu provozieren. Er ist ein Erzähler, der jeden Winkel seiner Geschichte überblickt und seine Leser geschickt an der Nase herum führt. Er arbeitet mit einem großen Figurenpark, doch ist alles so auf Bäckström ausgerichtet, dass daneben manche Figur, die durchaus ein paar Striche mehr verdient hätte, eher blass und eindimensional bleibt.
… hat recht
Das Bild, das der 64-jährige Persson von der schwedischen Polizei zeichnet, ist zwar loyal, aber nicht wirklich schmeichelhaft. Es rückt den menschlichen Aspekt in den Vordergrund, so dass die Ermittlungsarbeit nicht zuletzt von Projektionen und persönlichen Befindlichkeiten geleitet wird. Und selbst hier weiß Persson noch mit einem Augenzwinkern zu erzählen, dass manche falsche Fährte sich mit genügend Hartnäckigkeit am Ende doch als richtig erweisen, dieselbe Verbissenheit bei anderen Spuren aber in eine fatale Sackgasse führen kann. Es ist – mal wieder – eine komplexe und fintenreiche, sicher nicht seine beste, aber dennoch unterhaltsame Geschichte, die Persson hier präsentiert und damit – auch das versteht sich bei diesem Autor fast von selbst – so ganz nebenbei einen kritischen Blick auf die schwedische Gesellschaft und die Medien wirft. Es wäre allerdings nicht nötig gewesen, seinem Roman einen jener lausigen Ein-Wort-Titel zu verpassen.
Frank Rumpel
Leif GW Persson: Sühne. (Den som dödar draken, 2008). Roman.
Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt.
München: Btb 2009. 447 Seiten. 19,90 Euro.