Geschrieben am 12. April 2014 von für Bücher, Crimemag

Lucie Flebbe: Tödlicher Kick

image descriptionThe Bitches and Pitches of Bochum

– Lucie Flebbes Ruhrpott-Fußball-Krimi „Tödlicher Kick“ überzeugt mit zeitgemäßem Plot und den posttraumatischen Macken einer Jungdetektivin. Eine Rezension von Bruno Arich-Gerz.

Es gibt wahrlich kleinere Herausforderungen als die eines Regiokrimis, der wie Lucie Flebbes „Tödlicher Kick“ mit einem Fußballspiel des VfL Bochum aufmacht. Den etwas anderen Ruhrpott-Verein und seine treue Anhängerschaft kennzeichnen schließlich seit Jahren seine einzigartige Folklorisierung und Verkulturindustrialisierung. Man denke an Frank Goosen, an das wunderbare Internet-TV-Serienformat „So ist Fußball“ oder die akribisch zusammengetragenen Dönekens des noch viel wunderbareren Ben Redelings. Da kommt ein Stück Spannungsliteratur nicht mal eben so gegen an. „Und jetzt auch noch ein VfL-Krimi“, hört man förmlich schon die fach- und Ruhrpott-fußballkundigen Kritiker meckern.

In meinem Fall – ich muss hier einfach vertraut-persönlich werden – liegt sie Sache anders. Erstens, und vorab: alles in allem mag ich den neuen Flebbe. Zweitens, und das ist vielleicht ein Grund (aber nicht der entscheidende) für meinen gehobenen Daumen, legt ein anderer Roman gleichfalls los mit einem frustrierenden VfL Bochum-Fußballspiel. Alle Böcke beißen … dreht sich zwar hauptsächlich um den 1. FC Köln, doch wie bei Flebbe diente die Schilderung einer 1990er-Jahre-Partie FC gegen Bochum der Einführung des Personals, von den Red Herrings bis zum Ermittler-Pärchen. Außerdem ist die Episode ein kleiner atmosphärischer Vorglüher für die eher lese-unlustige Zielgruppe der Fußballanhänger. Der Autor von Alle Böcke beißen …  war ich selbst. Mit entsprechender Neugier ging ich in die Lektüre von „Tödlicher Kick“.

Totenfußball im RuhrstadionBruno_Laberthier_Alle Böcke beißen...

Der Pitch im Ruhrstadion ist bereitet, zweiundzwanzig Männer rennen im Bundesliga-Relegationsrückspiel einem einzigen Ball hinterher. Der Gegner heißt Schalke 04, was ich als einen etwas fiesen, wenngleich effektiven Seitenhieb des Grafit-Lektorats deute, das in Dortmund seine verlegerische Heimstatt hat. Nach Spielschluss sind die Hoffnungen der Bochumer Underdogs allerdings so mausetot wie ihr Mittelstürmer, der persienstämmige Oran Mongabadhi. Und eine junge Dame aus dem Bochumer Rotlichtmilieu hat ein Problem: „Curly“, Orans Flamme, hat scheinbar Dreck am Stecken, weil Blut an der Kleidung.

Auftritt Lila Ziegler und Ben Danner: sie eine blutjunge Privatdetektivin, er ihr um einiges älterer Partner in Sachen Tätersuche und Koitusfindung. Burschikos und gegen die stereotyp zickenkriegerischen Widerstände der Bochumer Polizeipräsidentin undercovert Frau Ziegler sich zunächst durch einen Wulst durchaus klischeeträchtiger Erstverdächtigungen. Ein Fußballer mit nahöstlicher Migrationsgeschichte, der sich zu einer Sexarbeiterin hingezogen fühlt, das erlaubt nicht nur den einen oder anderen selbst(kultur)verliebten Ellbogencheck für die feministisch aufgeklärte Spannungsliteraturleserin von heute – Mutter Mongabadhi beispielsweise trägt „das ultimative Symbol der Frauenunterdrückung, das Kopftuch“. Die Verbindung des Profis zu der Prostituierten macht auch den Einsatz im Bordell zwingend notwendig: einmal den Danners als heimlichermittelnder „Kunde“, zum anderen den Einsatz Lilas als heimlichermittelndes Frischfleisch für den männlichen Teil der High Society Bochums. Vor allem die Hintergründe der zieglerschen Neugier für alles Abseitige überzeugen: Die junge Ermittlerin arbeitet sich nicht nur durch ein übles chauvinistisches Internetforum (ein Zwischendurch-Oskar für die witzigste Wortneuschöpfung geht an „Bitches of Bochum“), sondern arbeitet sich auch ab an den Gespenstern ihrer eigenen Vergangenheit, in der es zwischen den Laken und an den Pulsadern hoch her-, weil problemkompensatorisch zuging.

© privat

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Homophobie im Fußball. Und Torlinientechnologie

Das Ergebnis der Recherche mit dem eigenen Leib im Nobelpuff bleibt allerdings so ernüchternd wie der Einsatz selbst riskant war. Und dann trudelt der Krimi in seine eigentlich bessere Hälfte.

Denn ein paar mehr Verdächtige als nur Curly oder die eifersüchtigen Herren aus Bochums Haute Volée werden es dann doch noch. Und ein einfaches – einfach moralinsaures – Ende wird routiniert verhindert, weil sich zeigt, dass Menschen- und Mannschaftsführung auch im vermeintlich harten Profimilieu zwar häufig, aber längst nicht immer das sind: hart. Vielmehr fließen Facetten aus Fußballöffentlichkeit und Meinungsmache ein, die es im durchaus noch jungen Jahr 2014 in sich hatten. Das Thema Homosexualität im Profifußball ist so eine Facette, die dem Roman einen zeitgemäßen Anstrich verleiht, ohne ihn in billige Effekthascherei abgleiten zu lassen. Jawohl, über das Feld mit der Aufschrift „schwuler Fußballer“ muss man als Leser/in schon ziehen, wenn man im fußballbochumer Spiel des Lebens und Sterbens in Erfahrung bringen will, warum der Drecksack des Romans am Ende um ein Haar davonkommt.
Eine zweite Facette ist die Sache mit der Torlinientechnologie.

Torlinientechnologie und sonstige Gepflogenheiten der schönsten Nebensache der Welt. Tja … sagen wir es so: Bei aller spannungsliterarischen Qualität von „Tödlicher Kick“ drängt sich dem überzeugten Fußballpositivisten in mir auch – nicht zuerst und primär, aber sehr wohl auch – der Eindruck auf, dass hier ein Sujet wohlfeil gewählt worden ist, ohne dass seine Darstellung sich autorinnen-, ratgeber- und mutmaßlich auch verlagsseitig auf ausgeprägte Insiderkenntnisse stützt.

Dass seit Ewigkeiten an einem Samstag keine Relegationsspiele stattfinden, sondern unter der Woche, zeugt von (meiner Überempfindlichkeit, klar, aber auch von) fehlendem Fußball-Grundkurswissen. Dass nach einem – in diesem Fall verlorengegangenen – Relegationsrückspiel der Trainingsbetrieb noch tagelang weitergeht, ist an der Profifußballwirklichkeit gemessen ebenfalls Kokolores. Und trotzdem passiert genau das. Romanimmanent aus ermittlungstechnischen Erwägungen und auf der Ebene des Erzählens aus Gründen der Handlungsanlage müssen Spieler und Trainer des VfL Bochum in Reichweite bleiben – da enthält man den Kickern und ihrem Coach schon mal den Jahresurlaub vor und lässt sie weiter trainieren.

Von narrativen Finten und einer Kicker-Note

Irgendwann ist der Lapsus offenbar auch den für den Romanfortgang Verantwortlichen aufgefallen, jedenfalls verfallen sie auf eine wenig überzeugende Ausflucht. Aus dem Hut gezaubert wird ein Einspruch gegen die Wertung des besagten Relegationsrückspiels und ein tatsächlich anberaumtes Wiederholungsspiel; angeblich habe die inzwischen eingeführte Torlinientechnik versagt und den VfL Bochum um einen Treffer gebracht.

Das kann man nachsichtig als einen fußballethisch interessanten Einwurf in eine aktuelle Debatte verstehen nach dem Motto: Wie sehr öffnet man eigentlich der nachträglichen juristischen Anfechtbarkeit Tür und Tor, wenn Technik den tatsachen- und damit revisionsunmöglich entscheidenden Richter im Schiedsrichter ersetzt?

Nur erreicht die Erörterung nicht annähernd diese Tiefe. Die Funktionalisierung der Torlinientechnologie als Handlungselement ist nichts anderes als eine narrative Finte, die wie hastig nachgereicht wirkt. Ordentlich in den ansonsten überzeugend geknüpften Plot-Teppich eingewebt ist sie bedauerlicherweise nicht.

Das muss aber nur mich und meinesgleichen von der Hardcore-Fuppesfront stören, und nicht das breite Bochumer und nichtbochumer Lesepublikum. Unterm Strich verdient Lucie Flebbe eine mehr als vorzeigbare Kicker-Krimi-Note für ihr ausgefuchstes und zeitgemäß-anspielungsreiches Stück Fußballspannungsliteratur, in dem nicht nur ein Mistkerl rundgemacht und in das Eckige einer Bochumer JVA-Zelle befördert wird.

Bruno Arich-Gerz

Lucie Flebbe: Tödlicher Kick. Roman. Dortmund: Grafit-Verlag 2014. 285 Seiten. 10,99 Euro. Mehr zu Buch und Autorin.