Geschrieben am 22. März 2010 von für Bücher, Litmag

Marc Mer: mundmilch

Junge Auflage

Marc Mer nimmt Minimalismus ernst: In den vorliegenden rund 80 Kürzesttexten kommt er mit kaum mehr als zwei Handvoll verschiedener Wörter aus, die er in immer neuen Konstellationen zueinander verschiebt und auf wechselnde Bedeutungen abklopft. Von Frank Schorneck

Marc Mer ist ein Grenzgänger. Sein künstlerisches Schaffen bewegt sich in der Schnittmenge von Literatur, Architektur, Installation und Performance. Der 1961 in Innsbruck geborene Mer studierte ebendort Architektur, Philosophie und Politikwissenschaft. 1999 prägte er den Begriff der „Literarischen Stadtrauminstallation“, mit der er in Köln, Kassel, Bochum und Lüdenscheid sinnlich in das Straßenbild eingriff: Straßenschilder mit literarischen Zitaten an ausgewählten Orten bildeten ein „Lesestück auf Zeit für den urbanen Passagier“.

Seit 2000 bekleidet Mer das Amt des Professors für „Übergreifende Gestaltung, Raumbildende Kunst und Philosophie des Raumes“ an der MSA, Münster School of Architecture. Seine künstlerischen Arbeiten wie auch seine bisherigen Publikationen, beispielsweise das geheime liebesleben des dali ernst musil wittgenstein, zeichnen sich aus durch eine gewisse Sperrigkeit, auf die man sich zunächst einlassen muss, um dann hinter dem theoretischen Überbau überraschenderweise auch auf Leichtigkeit und Humor zu stoßen.

Tänzelnde Texte

Mer kombiniert Orte mit Worten, collagiert Fotos und Texte und hinterfragt unter anderem unsere vom Werbekonsum geprägten Sehweisen. Sein aktuelles Buch kommt dagegen auf den ersten Blick sehr schmal daher. Es ist ein Bändchen mit „erotischen miniaturen / lyrischen minimalismen“, das es in sich hat. Minimalismus nimmt Mer hierbei sehr ernst: In den rund 80 Kürzesttexten kommt er mit kaum mehr als zwei Handvoll verschiedener Wörter aus, die er in immer neuen Konstellationen zueinander verschiebt und auf wechselnde Bedeutungen abklopft. Selten stehen mehr als ein oder zwei Wörter in einer Zeile. Die Erotik findet dabei in erster Linie im Kopf, in den Hintergedanken statt, die die Wortkombinationen anregen.

Die Doppeldeutigkeiten offenbaren sich manchmal erst auf den zweiten Blick, liegen andernorts kalauernd an der Oberfläche. Vom Tonfall her tänzeln die Texte hin und her zwischen feingeistiger Verführung und stellenweise chauvinistischer Direktheit – wobei die pornografischen Bilder einzig im Kopf des Lesers entstehen, wenn zum Beispiel auf einer ansonsten leeren Seite ein kleines „o“ und eine Klammer „()“ wenige Zeilen untereinander stehen. Viele der Miniaturen sind arg verkopft, andere haben aphoristische Würze wie zum Beispiel „kleid / wirkt // kleid / wirkt / kurz // kleid / kurz / wirkt / lang“.

Wirkt nach.

Frank Schorneck

Marc Mer: mundmilch.
minneminiaturen minneminimalismen. liebesleibslyrik
ein erotikon rot o (ironikon o ikonikon).
postparadise edition 2009.

Foto: Lothar Schnepf

| Zur Homepage von Marc Mer
| Marc Mer im Poetenladen