Heute: Ian Rankin
von Marcus Müntefering
Zu den Fragen, die man Schriftstellern bei Interviews niemals stellen sollte, gehört: Was ist Ihr Geheimnis? Würden sie es verraten, wäre es kein Geheimnis mehr. Wären sie sich selbst darüber bewusst, würde der Zauber möglicherweise verfliegen. Wahre Anmut gibt es nicht im vollen Bewusstsein seiner selbst.
Deshalb ist diese gerade bei Fragebögen beliebte Frage selbstverständlich kein Teil der Bloody Questions. Und so bleibt es ein Geheimnis, wie Ian Rankin es schafft, dass seine Romane um Inspector John Rebus nicht nur unter Krimifans, sondern auch unter Kritikern ein Stammpublikum haben, das den grummeligen Eigenbrötler und Gerechtigkeitsfanatiker durch mittlerweile 21 Fälle und seit 30 Jahren (Happy Birthday, Mr Rebus!) begleitet. Dabei kann es im Jahr 2017 eigentlich kaum etwas Uninteressanteres und Irrelevanteres geben, als Bücher zu lesen, in denen ein melancholischer, ältlicher, querköpfiger weißer Mann einen Mord aufklärt, und das auch noch in Serie. Wer er zu John Rebus gefunden hat, erzählte er vor Kurzem hier exklusiv auf CrimeMag.
Ian Rankin selbst hatte geahnt, dass es schwierig werden könnte, und seinen Helden bereits 2007 in dem im Original wunderbar nach einem Song von Radiohead betitelten Roman „Exit Music“ in den Ruhestand geschickt (deutsch „Ein Rest von Schuld“ – über die generischen Titel, die Goldmann für Rankins Romane erfindet, müsste man eigentlich ebenso gesondert schreiben wie über die gesichtslosen Buchcover). Doch Rebus’ Nachfolger Malcolm Fox war einfach zu blass, um als Serienheld zu taugen, zumindest für sich allein – und so stellte ihm Rankin ab „Standing in another Man’s Grave“ (nach dem Song des late, great Folkmusikers Jackie Leven, deutsch: „Mädchengrab“) Rebus zur Seite. Und das ungleiche Paar funktioniert, im Schatten von Rebus gedeiht auch Fox recht prächtig, und wer weiß: Vielleicht kann er, wenn Rankin gar kein Kniff mehr einfällt, wie er den Pensionär Rebus noch in eine aktuelle Ermittlung einbinden soll, endlich eine eigene Reihe tragen.
Oder Rankin kümmert sich wieder ein bisschen intensiver um Siobhan, deren Profil in den Comeback-Romanen nicht mehr so geschärft wirkt wie früher, was ein bisschen schade ist, gehörte doch das Zusammenspiel zwischen Rebus und Siobhan zu den Höhepunkten der Reihe. Zum Beispiel die vergeblichen Versuche, den – auch in Sachen Musik – Dinosaurier Rebus beizubringen, dass auch nach 1980 noch interessante Platten veröffentlicht wurden (siehe dazu auch mein Interview bei Spiegel Online).
Der neue Rebus ist erneut nach dem Song eines bereits verstorbenen Musikers benannt (Rankin hat seine musikalischen Vorlieben auf Rebus und Siobhan aufgeteilt, sie sind sozusagen in Sachen Rock seine Jekyll und Hyde, um einen Lieblingsroman von Rankin anzusprechen, dessen Konstruktion ihn schon immer fesselt und für ihn unter anderem Edinburgh widerspiegelt): John Martyns verstörendes „Rather be the Devil“. Unter dem wieder einmal wunderschönen deutschen Titel „Ein kalter Ort zum Sterben“ macht sich Rebus dieses Mal auf, einen alten Fall aufzuklären, der sich wiederum in einen aktuellen Fall von Fox und Siobhan verwickelt. Das ist gar nicht mal so überraschend, neu oder interessant, trotzdem ist „Rather be the Devil“ neben „Standing in another Man’s Grave“ das stärkste Comeback-Buch. Weil Ian Rankin hier wieder die Melancholie des Alters in eine traurig-schöne Melodie umsetzt und gleichzeitig die Hassliebesgeschichte zwischen Rebus und seinem Moriarty weiterspinnt, dem Großverbrecher Cafferty (auch hier wieder: die Doppelgesichtigkeit von Jekyll/Hyde). Es ist einfach wunderbar, den beiden dabei zuzuschauen, wie sie sich bei einem Pint oder Whiskey belauern, sich ihrer gegenseitigen Abneigung versichern und doch nicht voneinander lassen können. Und natürlich tragen beide immer noch den titelgebenden Teufel in sich… Fortsetzung also garantiert.
Als Soundtrack zur Lektüre der Bloody Questions empfehle ich euch deshalb unbedingt John Martyns Album „Solid Air“, von dem auch „Rather be the Devil“ stammt, zum Beispiel bei Youtube in voller Länge zu hören.
Bloody Questions:
1 Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?
Als Kind habe ich ein paar Mal geklaut, Schokolade, Schallplatten… Ich habe oft darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen. Vielleicht würde ich ein Gemälde stehlen, das ich liebe, mir aber nicht leisten könnte.
2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?
Eine schwierige Frgae, Vielleicht Mr. Hyde, weil er zeigt, dass wir alle zu Verbrechen fähig sind, wenn wir unseren dunklen Trieben nachgehen. Er ist die Essenz der menschlichen Natur.
3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?
Nein, ich erinnere mich nicht. Ich müsste meinen ersten Roman lesen, um das herauszufinden. Aber ich lese meine Romane nicht.
4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?
Für mich Chandler. Er schreibt eleganter und seine Witze sind besser.
5 Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?
Meine Eltern, ich war 19, als meine Mutter starb, und 29, als mein Vater starb. Ich habe beider Stirn berührt – eine Familientradition. Außerdem habe ich natürlich Leichenschauhallen besucht, Einladungen zu Autopsien habe ich allerdings sämtlich abgelehnt. Mir reicht es, meine Phantasie zu bemühen.
6 Wurden Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?
In mehreren meiner Wohnungen und Häuser wurde eingebrochen, auch in mein Auto. Und einmal habe ich zwei Einbrecher in meiner Einfahrt beobachtet. Sie hatten ein paar Dinge aus dem Wagen meines Nachbars gestohlen und waren dabei, sie durchzusehen. Ich bin aus dem Haus gegangen und habe sie mit meinem Smartphone gefilmt. Sie wirkten allerdings nicht sonderlich beeindruckt. Ich gab der Polizei den Film, habe aber keine Ahnung, ob die Einbrecher jemals geschnappt wurden.
7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?
Nein, der Tod ist eine zu harte und groteske Bestrafung.
8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?
Ich hatte viele Jobs, darunter Sekretär, Journalist und Staatsdiener. Aber in meiner Freizeit habe ich immer schon geschrieben.
9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
Ich wäre gern Rockstar, Sänger einer großartigen Band. Oder Literaturprofessor, dann würde ich dafür bezahlt werden zu lesen.
10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
Immer. Jazz (Eddie Harris, Coleman Hawkins, Art Pepper) und Elektronik (Tangerine Dream, Brian Eno, Boards of Canada). Nur Instrumentales.
11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
Ich schreibe sowohl tagsüber als auch nachts. Aber nicht, wenn ich unterwegs bin, ich brauche meinen Schreibtisch und meine Musik. Es kommt schon mal vor, dass ich erst Abends um sieben oder acht Uhr anfange …
12 Was machen Sie, wenn Sie mal nichts Vernünftiges zu Papier bringen?
Ich gehe spazieren. Oder in ein Café, wo ich ein Buch lese oder ein Kreuzworträtsel mache. Danach versuche ich es wieder mit dem Schreiben.
13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
Wir sollten unser Leben noch einmal leben können, weniger Fehler machen, uns und anderen weniger in Verlegenheit bringen, freundlicher sein und hilfsbereiter. Tatsächlich aber verrotten wir und werden zu Partikeln in der Luft und in der Erde.
14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?
Ich bin dagegen. Ich glaube zwar daran, dass die Schuldigen bestraft werden sollten, aber ich glaube ebenfalls an die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Und ich glaube daran, dass Menschen sich ändern können und irgendwann nicht mehr böse sind.
15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
Na ja, sollte Brecht eine Bank ausrauben, in der ich mein Geld habe, würde mich das wahrscheinlich nicht sehr froh machen. Aber wenn er mich in sein Team aufnimmt, und wir dadurch reich werden…
16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
Hier liegt Ian Rankin, der älter wurde als wir alle. Ein wahres Wunder.
Ian Rankin. Ein kalter Ort zum Sterben (Rather be the Devil, 2016). Roman. Goldmann Verlag, München 2017, Übersetzt von Conny Lösch. 480 Seiten, 20 Euro.
Die Bloody Questions auf CrimeMag mit bisher:
Steve Hamilton
Tana French
Garry Disher
Jerome Charyn
Friedrich Ani
Mark Billingham
Adrian McKinty
Robert Wilson (2 Teile)
Simone Buchholz
Lawrence Block
Karin Slaughter
Val McDermid
Joe R. Lansdale
Bill Moody
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Wallace Stroby (8)
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