Geschrieben am 11. Mai 2011 von für Bücher, Litmag

Marie T. Martin: Luftpost

Von Melancholie durchwebt

– Bislang ist die 1982 geborene Marie T. Martin in erster Linie mit extrem kurzen Texten in Erscheinung getreten. Sei es in Literaturzeitschriften wie Macondo, sei es mit den Kürzestgeschichten der wunderbar versponnenen  Heftreihe „Die kleinen monochromen Freunde“, die sie gemeinsam mit der Illustratorin Ulrike Steinke bei Onkel & Onkel publiziert hat. Nun ist im poetenladen Verlag unter dem Titel „Luftpost“ ein Band mit einigen etwas längeren Geschichten erschienen, den Frank Schorneck genauer gelesen hat.

Die Geschichten in „Luftpost“ haben es in sich: Marie T. Martin zeigt kein Interesse an Helden oder Siegertypen, ihre Protagonisten stehen mal auffällig, mal unauffällig am Rand der Gesellschaft, kämpfen mit dem Leben, nicht selten gegen sich selbst. Nicht wenige ihrer Figuren neigen zu Verhaltensauffälligkeiten oder leiden an Persönlichkeitsstörungen, balancieren auf einem schmalen Grat zum Wahnsinn. So ist die Ich-Erzählerin der einleitenden und titelgebenden Geschichte „Luftpost“ eine Psychologin, die sich vergeblich bemüht, eine junge Patientin zum Sprechen zu bewegen. Ihre eigenen Geister der Vergangenheit hat sie jedoch selbst nicht überwunden. Um den rein technischen Aspekt des Sprechens wiederum geht es ihrem Kollegen Fred, einem Logopäden, der in einer der späteren Erzählungen eine größere Rolle einnehmen soll.

Foto von Ilker Gurer

Die Autorin erzählt in ihren Texten keine linearen Geschichten. Sie wirft Schlaglichter auf einzelne Schicksale, zeigt Momentaufnahmen und beschreibt Stimmungen. Gerade hier liegt ihre besondere Stärke. In ihren Geschichten blickt sie oft ähnlich negativ auf die Welt und die Menschen wie Sibylle Berg. Doch während Sibylle Berg diese Weltsicht in bösartigen Zynismus kleidet, herrschen bei Marie T. Martin leise Melancholie und Verzweiflung vor. „Drei Teller“ zum Beispiel ist eine solche Geschichte, in der atmosphärisch dicht, zutiefst eindringlich und berührend über eine Dreiecksbeziehung das Altern thematisiert wird.

Marie T. Martins Figuren zweifeln am Leben, am Beruf, an der Zukunft. Mit feinem Gespür denkt sie sich in die Köpfe ihrer Protagonisten hinein und lässt sie so wundervolle Sätze sagen wie: „Ich wollte gerne in meinem sonnendurchtränkten Zimmer sitzen bleiben, bis meine Haut so hart geworden war, dass ich das Haus endgültig verlassen konnte.“

Vor allem aber beeindruckt ihre Liebe zum Detail, zu kleinen Gesten und Ticks, die einen Menschen oft viel intensiver charakterisieren können als viele Worte. Selbst in Momenten größter Dramatik, wie in der Geschichte „Grünspan“, schildert sie nicht die Gewalt, die plötzlich hereinbricht, sondern überlässt es dem Leser, sich anhand von  wenigen Andeutungen ein eigenes Bild zu  imaginieren. Ihre Geschichten haben zumeist eine leicht fantastische, märchenhafte Nuance, doch auf dem harten Boden der Realität müssen fast alle ihrer Helden aufprallen. Abgefedert werden sie dabei nur von dem eigenwilligen Humor der Autorin, der dafür sorgt, dass man als Leser zwischendurch auch mal Luft holen kann.

Frank Schorneck

Marie T. Martin: Luftpost. Poetenladen 2010. 144 Seiten. 17,80 Euro.