Kafka und Bernhard auf Klassenfahrt
Markus Orths hat sich mit diesem Roman sowohl eine Eins verdient als auch einen Eintrag ins Klassenbuch wegen Störens.
Dass ein junger Autor innerhalb kürzester Zeit mit gleich drei Büchern in das Programm eines renommierten Verlags aufgenommen wird, kommt nicht allzu häufig vor – allerhöchstens vielleicht im Umfeld der so genannten Pop-Literatur, die nicht zuletzt weitestgehend von ihrer Aktualität und ihrem Wiedererkennungswert lebt. Doch der in Karlsruhe lebende Markus Orths kann kaum dieser Gruppe zugerechnet werden. Nach dem Erzählungsband Wer geht wo hinterm Sarg? (2001) und dem Roman Corpus (2002) legt der 1969 geborene Autor mit Lehrerzimmer nun schon seinen zweiten Roman im Verlag Schöffling & Co. vor. Wer die Szene ein wenig beobachtet, konnte jedoch schon weitaus früher auf den Namen Markus Orths stoßen. Zahlreiche Literaturzeitschriften haben seine Geschichten bereits abgedruckt und auch den einen oder anderen Literaturpreis hat er bereits erhalten.
Mit Lehrerzimmer zeigt sich Markus Orths von seiner humoristischen Seite, die bislang so offen nicht zutage getreten ist. Sein Ich-Erzähler, Studienassessor Kranich, wird bei Antritt seines Amtes an einer Göppinger Schule mit einem Schulsystem konfrontiert, das Erinnerungen an Kafkas Das Schloß oder auch an den Prozeß weckt. Schon die Vorstellung bei Direktor Höllinger macht klar, dass Kranich kein leichter Alltag bevorsteht. Er muss lernen, dass nichts wichtiger für einen Lehrer sein darf als die Beurteilung durch den Direktor. Dieser aber hat sich bereits negativ notiert, dass Kranich nicht in Göppingen wohnt, was ein Unding für einen Lehrer an dieser Schule sei. Auch sonst macht Höllinger keinen Hehl daraus, dass Kranich an seiner Schule keine Chance habe. Und dass Kranich die Klasse mit dem Sohn des Direktors zugeteilt bekommt, macht die Sache nicht leichter.
Lehrerzimmer ist eine bissige Abrechnung mit Bürokratie und Duckmäusertum im Schuldienst zu Zeiten der Pisa-Studie. Gefangen in einem Wust an Verordnungen und Konferenzen harren die Lehrer der Frühpensionierung, spionieren sich gegenseitig aus und zerbrechen hilflos am unerwarteten Besuch der Sicherheitskräfte des Oberschulamts. Eine konspirative Gruppe nimmt sich vor, das Schulsystem zu unterminieren – allerdings nur theoretisch, da man ja sonst seinen eigenen Arbeitsplatz gefährden würde.
Markus Orths ist Lehrer bzw. war es – und nach der Lektüre dieses Romans ahnt man, dass ihn dieser Beruf nicht wirklich erfüllt hat. Er karikiert seine Figuren bis zur Kenntlichkeit, spielt mit den Klischees, die doch jedem aus der eigenen Schulzeit nur allzu bekannt sind. Vergleiche wären weniger zu Spoerls Feuerzangenbowle zu ziehen – da die Schüler in diesem Roman kaum eine Rolle spielen –, als vielmehr zum anarchischen Humor Monty Pythons. Lehrerzimmer ist geprägt von einer absurden Komik und einem atemberaubenden Tempo. Und das Ganze ist zudem noch sprachlich ein Genuss. Schon in Corpus zeigte Orths ja eine Vorliebe für verschachtelte Sätze und indirekte Rede. In Lehrerzimmer nun potenziert diese Sprache die Komik des Erzählten. Markus Orths hat sich mit diesem Roman sowohl eine Eins verdient als auch einen Eintrag ins Klassenbuch wegen Störens.
Textauszug:
Was wollen Sie denn hier? Entfuhr es ihm. Ich sagte, ich hätte mit Linnemann die Räume getauscht, und Linnemann habe gesagt, stundenplantechnisch habe er jetzt eigentlich hier Unterricht, in diesem Raum, sodass der Raum, das SG4, jetzt, da Linnemann ja oben, im dritten Stock sei, eigentlich leer sein müsste. Ja, schon, sagte Bruns, aber er habe seinen eigenen Raum im Erdgeschoss verlassen, weil der Lärm von den Umbauarbeiten im benachbarten Eingangsbereich unerträglich geworden sei. Wenn ich es wünsche, sagte er, gehe er aber wieder zurück ins EG3. Nein, nein, sagte ich, bleiben Sie hier, das ist viel zu umständlich, ich geh schon. Damit schloss ich die Tür, sagte den Schülern, sie sollten zum EG3 gehen, ich sei gleich zurück, ich müsse noch einmal kurz weg, und einer der Schüler fragte mich, ob er noch eine rauchen könne, ehe ich den richtigen Raum gefunden hätte.
Frank Schorneck
Markus Orths: Lehrerzimmer. Schöffling & Co. 2003. Gebunden. 162 Seiten. Euro 18,50.
ISBN: 3-89561-095-X