Geschrieben am 13. Januar 2008 von für Bücher, Crimemag

Martin Cruz Smith: Stalins Geist

Heldendämmerung

Martin Cruz Smith wittert hinter „Stalins Geist“ aggressiven und korrumpierbaren Patriotismus.

Außerhalb der Grenzen Russlands gibt es wohl kaum einen Krimiautoren, der die politische, wirtschaftliche und soziale Stimmung in Putins Reich ebenso spannend wie informativ in Worte und Bilder zu fassen vermag wie Martin Cruz Smith. Und das stellt er in seinem neusten „Arkadi-Renko-Roman“ erneut und eindrucksvoll unter Beweis. Nachdem er in „Treue Genossen“ den kriminellen Nachwehen des Super-GAUs in Tschernobyl nachgegangen ist, legt er seine Finger nun in die ebenso wenig verheilte Wunde Tschetschenien.

Dank der mutigen Reportagen und Bücher von Anna Politkovskaja weiß der Rest der Welt, welche Kriegsverbrechen im Namen der Terrorismusbekämpfung hier stattgefunden haben. Möglicherweise hat Smith die Ermordung der couragierten Journalistin im Dezember 2006 auf das Thema seines neuen Politthrillers gebracht. Smith’ aufrechter Kommissar Arkadi Renko beweist zumindest ebenso viel persönlichen Mut und moralische Standfestigkeit wie sie. Wenn auch mit eher unkonventionellen Mitteln. Denn wenn Renko etwas partout nicht leiden kann, dann sind es Korruption, Gewalt und Gleichgültigkeit gegenüber den alltäglichen und weniger alltäglichen Verbrechen.

Doch zunächst hat er es mit keinem eigentlichen Verbrechen, sondern mit „Stalins Geist“ zu tun, den Augenzeugen in der Moskauer Metro gesichtet haben wollen. Auch wenn sich „Stalins Geist“ am Ende als eine mehr oder weniger wirkungsvolle Chimäre entpuppt, schwebt er zumindest atmosphärisch über den Ereignissen. Denn die Sehnsucht nach dem starken Mann in Russland ist allgegenwärtig und wird von machthungrigen Politikern und raffinierten PR-Strategen weidlich ausgenützt. So führt ihn „Stalins Geist“ auf die Spuren seines Polizeikollegen Isakow, der als Kommandeur der Elite-Einheit OMON im Tschetschenien-Krieg als Held gefeiert wurde und nun in seiner Heimat Twer als ebenso durchsetzungsfähiger Politiker gewählt werden möchte.

Böse Schatten der Vergangenheit

Dafür werfen er und seine Berater gern mal den bösen Schatten der Vergangenheit an die Wände der Moskauer U-Bahn-Stationen. Ein noch dunklerer Schatten liegt jedoch über Isakows eigener Vergangenheit, die keineswegs so ruhmreich ist, wie in ruhmreichen Kriegsberichten immer wieder behauptet wurde. Renko wäre nicht Renko, spürte er diesen dunklen Fleck nicht auf. Dass er damit erneut mächtige Gegner gegen sich aufbringt und wieder mal nur knapp dem Tod von der Schippe springen kann, ist nicht neu. Doch Smith versteht es, seinen unverwüstlichen Helden immer wieder in Situationen zu manövrieren, die ebenso viel über seinen Charakter wie über den der regierenden Klasse und seiner Opfer aussagen. So blicken wir in die Seele eines verbitterten Großschachmeisters und Altkommunisten, folgen Renkos hochbegabtem, aber verwildertem Adoptivsohn Schenja in Moskaus schäbigste Gassen und beobachten die ängstlichen Staatsanwälte bei ihrer täglichen Vertuschungsarbeit.

All diese Nebenstränge und Nebenfiguren führt Smith immer wieder auf sein solide konstruiertes Hauptgleis, das in einem effektvollen, aber niemals überzeichneten Showdown mündet. Wer nämlich glaubt, mit Isakows Enttarnung könnte schon Entwarnung gegeben werden, wird eines Besseren bzw. zugleich Schrecklicheren belehrt. Wer also ebenso spannend wie fundiert über Russlands Missstände aufgeklärt werden möchte, der begebe sich sofort auf die Spuren von „Stalins Geist“.

Jörg von Bilavsky

Martin Cruz Smith: Stalins Geist. Ein Arkadi-Renko-Roman. Aus dem Russischen von Rainer Schmidt. C. Bertelsmann Verlag 2007. 365 Seiten. 19,95 Euro.