Geschrieben am 24. Mai 2008 von für Bücher, Crimemag

Matti Rönkä: Bruderland

Gelegenheitsermittler mit Grenzerfahrung

Der Grenzgänger hieß das gelungene Debüt des finnischen Autors Matti Rönkä. Mit Bruderland liegt nun dessen zweiter, wunderbar lakonischer Kriminalroman auf Deutsch vor.Von Frank Rumpel

„Ich trank ein Bier und überlegte, ob ich auf Limonade umsteigen oder meinen Mercedes über nacht auf dem Parkplatz stehen lassen sollte. Ich hatte den Verdacht, dass mein großer Bruder am späteren Abend einen zurechnungsfähigen Aufpasser brauchen würde.“
Viktor Kärppä ist ein Überlebenskünstler, der sich sein Geld meist illegal mit Hehlerei verdient. Aufgewachsen in der Sowjetunion, lebt er schon Jahre in Finnland. Daheim fühlt er sich hier wie dort nicht, obwohl er beide Sprachen spricht. In Russland ist er der Finne und in Finnland der Russe. In genau diesem Zwischenraum hat er sich sein Leben eingerichtet. Seine lukrativen Geschäfte macht er auf beiden Seiten der Grenze.
Als in Helsinki schwach verschnittenes Heroin auftaucht, das bereits einen jugendlichen Junkie das Leben kostete, soll Kärppä, beauftragt von einem Polizisten, über seine Kontakte nach Russland ermitteln, wer die Droge in Umlauf bringt. Kärppä hat ein gewisses Eigeninteresse an dem Fall, denn zeitgleich mit dem Heroin taucht sein Bruder in der Stadt auf. Die Polizei hält ihn für den Dealer, ebenso wie eine russische Mafiaorganisation, die sich brennend für den neuen Konkurrenten am Markt interessiert. Sie schickt ihre Leute nach Helsinki, um der Sache auf den Grund zu gehen. Kärppä sitzt wieder einmal zwischen den Stühlen und muss sich mit Leuten herumschlagen, die ihn bei weitem nicht so sehr interessiere wie die Frage, ob seine Freundin, die zum Studieren in die USA geflogen ist, wohl wieder zu ihm zurückkommen wird.

Klug konzipiert und glaubhaft

Das alles erzählt der 1959 in der Sowjetunion geborene Matti Rönkä, der als Nachrichtensprecher fürs Fernsehen arbeitet, geradlinig und mit großer Selbstverständlichkeit. Keine große Sache, scheint der Autor da allenthalben lächelnd zu beteuern, egal ob sein Protagonist und Ich-Erzähler gerade von der Zentralkripo wegen des Schmuggels von Dopingmitteln verhört wird oder mit einer Fliegerabwehrkanone herumballert. Rönkäs Sätze sind nahezu fettfrei, der Ton ist nüchtern. Dazu passend pflegt er einen erfrischend unaufdringlichen, aber bissigen Humor.
Als sein Protagonist Kärppä nach St. Petersburg reist, tut er dies in einem deutschen Auto, das er für einen Geschäftsfreund überführt. Während die russischen Mafiosi sich über das in Finnland verkaufte Heroin erkundigen, macht Kärppä sich nützlich, indem er mit seinem russischen Fahrer etwas Schutzgeld eintreibt und Schwarzmarkt-CDs an Kioske verteilt. Mit derselben Lakonie inszeniert Rönkä auch eine herrlich trockene Liebesszene:
„Ich faltete meine Kleider halbwegs ordentlich zusammen und legte mich neben sie. Wir lagen Haut an Haut, ich streichelte Helenas Rücken und sah ihr in die Augen. „Weißt du was, Viktor? Ein Mann, der Stofftaschentücher benutzt, kann kein schlechter Mensch sein“, sagte sie. Leidenschaftlich oder erregt klang das nicht, aber ich war trotzdem zufrieden.“

Matti Rönkä hat einen im besten Sinne leisen, unspektakulär daher kommenden Kriminalroman geschrieben, der klug konzipiert und von den Figuren bis zu den Schauplätzen glaubhaft ist. Für Klischees hat dieser Autor schlicht keinen Platz. Und auch keinen Platz für die in vielen nordischen Kriminalromanen so verbreiteten, latent depressiven Ermittler und jene aufdringliche Melancholie, die so eng mit dem literarisch vermittelten Landstrich verknüpft scheint, dass sie kaum von dort wegzudenken ist. Rönkä kann spielend ohne.

Frank Rumpel

Matti Rönkä: Bruderland (Hyvä veli, paha veli, 2003). Roman. Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara. 222 Seiten. Grafit-Verlag 2008. 17,90 Euro.