Der Weg ins gesellschaftliche Abseits
Mechthild Borrmann verknüpft in ihrem dritten Kriminalroman eine Familientragödie und einen dilettantisch ausgeführten Raub zu einer feinnervigen Kriminalgeschichte. Frank Rumpel ist voll des Lobes.
Wieder mal kein leichtes Thema, das sich Mechthild Borrmann da für ihren dritten Kriminalroman ausgesucht hat, ein Thema, das leider nach wie vor brandaktuell ist und deshalb auch immer wieder Steilvorlagen für fiktionalen Stoff liefert. Es geht um eine Familientragödie, häusliche Gewalt, die Vernachlässigung von Kindern, den Weg ins gesellschaftliche Abseits. Borrmann hat diese, einigermaßen absehbare Geschichte geschickt mit einigen anderen zu einem komplexen Ganzen verbunden.
In der Innenstadt von Kleve rast abends ein Geländewagen in die Auslage eines Juweliergeschäftes, zwei Männer springen aus dem Auto und räumen ab. Auf der Flucht fahren sie einen Passanten an, weil sie befürchten, erkannt worden zu sein. Der Überfall passt dem Muster nach zu einer bundesweiten Serie, doch weisen einige Indizien auf Nachahmungstäter hin. Die Polizei hat den Juwelier in Verdacht, den Überfall eingefädelt zu haben, um die Versicherungssumme zu kassieren. Ein Verdächtiger wird ermordet aufgefunden. Die Beute bleibt verschwunden.
Zwischentöne
Borrmann erzählt ihre schlanke, aufs Wesentliche reduzierte Geschichte präzise und ausgewogen, mit einem Blick für die wichtigen Kleinigkeiten und einem Ohr für die Zwischentöne. Sie nimmt ihre Figuren und deren Gefühlslagen ernst und hält doch angenehme Distanz. Verteilt ist ihr durchweg glaubwürdiges Personal auf drei inhaltlich gleichwertige Erzählstränge, die sie immer enger miteinander verflicht.
Da ist einmal das italienische Wirtspaar, das den Überfall beobachtet und dessen Neffe angefahren wird. Der Wirt verpasst einem der Täter, den er erkannt hat, eine Abreibung und meint, als er von dessen Tod erfährt, einen Mord auf dem Gewissen zu haben. Dann sind da die polizeilichen Ermittlungen, die Borrmann minutiös verfolgt und schließlich spürt sie in Rückblenden den Mechanismen einer tragischen Familiengeschichte nach. Der Mann ist ein psychopathischer Schläger mit verqueren Vorstellungen, der seine Frau über Jahre systematisch in die Enge treibt, sie von Nachbarn und Bekannten isoliert, sie dem Zugriff der Ämter entzieht, bis sie von der Situation, den Kindern, den Geldsorgen mehr und mehr überfordert, erst den Kontakt zu ihrer Umgebung und schließlich zur Realität verliert. Am Ende ist eines ihrer vier Kinder tot.
Mechthild Borrmann hat einen leisen, unspektakulär daherkommenden, aber dennoch intensiven und klug arrangierten Roman geschrieben, der erzählerisch, wie sprachlich zu überzeugen weiß, ohne das Thema, um das es der Autorin hier geht, überzustrapazieren.
Frank Rumpel
Mechthild Borrmann: Mitten in der Stadt. Roman.
Bielefeld: Pendragon-Verlag. 220 Seiten. 9,90 Euro.