Geschrieben am 17. Januar 2005 von für Bücher, Litmag

Melinda Nadj Abonji: Im Schaufenster im Frühling

Die Waffe unterm Bett

Melinda Nadj Abonji legt mit „Im Schaufenster im Frühling“ ein gewagtes Romandebüt vor, das von Kindesmisshandlung und den psychischen Folgen handelt.

Mit einem Auszug aus ihrem Roman Im Schaufenster im Frühling konnte die aus Becsej, Vojvodina, stammende und nun in Zürich lebende Autorin, Musikerin und Textperformerin Melinda Nadj Abonji die Jury des diesjährigen Bachmann-Preislesens nicht auf ihre Seite ziehen – doch das nun in seiner Gesamtheit vorliegende Romandebüt weiß auf ganzer Länge zu überzeugen. In einem bilderreichen Verwirrspiel entwickelt Abonji die Geschichte von Luisa Amrein, die mit Mitte zwanzig in Wien lebt und ein Verhältnis mit dem verheirateten Frank hat. Luisas Geschichte ist eine tragische Aneinanderreihung von Gewalt und Gegengewalt. Bruchstückhaft wird ihre Vergangenheit aufgedeckt, erfährt der Leser von dem prügelnden Vater, ahnt bald, dass es auch zu sexuellen Übergriffen gekommen sein muss. „Krieg ist, wenn ich nach Hause komme, das war für sie normal.“ Die häusliche Gewalt trägt Luisa hinaus auf den Schulhof; die Schläge schmerzen weniger, wenn man sie weitergeben kann.
Halt gibt ihr in dem Kreislauf aus Gewalt nur der alte Friseur Zamboni, dessen Hund friedlich im Schaufenster schläft.
Von ihrer Kindheit in einem namenlosen Dorf hat sich Luisa auch in Wien nicht lösen können. Die Erinnerungen suchen sie beständig heim, der Aufbau freundschaftlicher Beziehungen fällt ihr schwer. Auch das Verhältnis zu Frank ist von einer sehr einseitigen Abhängigkeit gekennzeichnet. Er bestimmt die Regeln, lässt sie im Bedarfsfall fallen wie eine heiße Kartoffel. Eines Tages entdeckt Luisa unter Franks Bett einen Revolver – und sie stellt fest, dass ihre beste Freundin Valérie und Frank sich kennen.

Sektion einer Psyche

Melinda Nadj Abonji erzählt ihre Geschichte nicht stringent, Schicht um Schicht dringt sie vorsichtig zum Kern vor, springt in den Zeiten hin und her, seziert Luisas Psyche, indem sie ihr Erinnerungsskalpell mal hier, mal dort ansetzt und einen Streifen Verletzung, Enttäuschung und Verzweiflung abzieht. Schritt für Schritt erhöht sie dabei die Spannung.
Dieser Roman verwirrt und verstört. Er findet nicht die Worte für das, was Luisa widerfahren ist, aber die Leerräume zwischen dem Gesagten sprechen eine sehr deutliche Sprache. Am Ende lässt er seine Leser im Unklaren darüber, ob Valérie und Luisa nicht eventuell ein und dieselbe Person sind, ob vielleicht auch die Kindheitsfreundin Antonella nur eine Abspaltung Luisas war. In Nadj Abonjis Prosa verwischen Wirklichkeit und Phantasie auf wundersame Weise, für das Grauen findet sie erschreckend schöne Bilder. Ein gewagtes und gelungenes Debüt.

Frank Schorneck

Melinda Nadj Abonji: Im Schaufenster im Frühling. Ammann 2004. Gebunden. 167 Seiten. 17,90 Euro. ISBN: 3-250-60073-3