Geschrieben am 22. August 2009 von für Bücher, Crimemag

Michael Connelly: The Scarecrow

Brisant, dramatisch, realistisch: Connellys Krisen-Krimi

Der Los Angeles Times-Polizeireporter Jack McEvoy wird gefeuert, weil die Zeitungsverleger in bewährter Heuschrecken-Manier höhere Renditen einfahren wollen. Während er seine junge Nachfolgerin in den Job einarbeitet, gerät er auf die Spur eines Serienkillers. Michael Connellys The Scarecrow ist ein faszinierender Krisen-Krimi, der den dramatischen Wandel im Zeitungsmilieu beleuchtet. Peter Münder konnte nicht auf die Übersetzung warten. Wir verstehen das, zumal es zu Michael Connelly mehr zu sagen gibt – eine Rezension plus, sozusagen.

Eigentlich sollte Jack McEvoy ja – als Nummer 99 von 100 entlassenen Journalisten – sofort seinen Schreibtisch ausräumen und in Begleitung eines Sicherheitsbeamten das Großraumbüro der LA Times verlassen. Doch die Chefetage zeigt sich kulant: Wenn er die junge Kollegin Angela Cook als Nachfolgerin einarbeitet, kann er noch zwei Wochen bleiben – die würden dann sogar bezahlt werden! Der abgebrannte McEvoy kann es sich nicht leisten, dieses erniedrigende Angebot abzulehnen. Er hat zwar mal einen Bestseller geschrieben, doch das ist schon eine Weile her und die verdienten Dollar sind längst verbraten. Zum Abschluss seiner Reportertätigkeit will er aber noch den großen Scoop landen und beweisen, dass die Polizei einen 16-jährigen schwarzen Drogen-Dealer zu Unrecht verdächtigt, eine weiße Stripperin ermordet zu haben. Dann weitet sich die heiße Story immer weiter aus: Über seine Internet-Recherchen kommt Jack einem brutalen, unheimlichen Killer mit dem Spitznamen „Scarecrow“ auf die Spur, der sich aus den in Chatrooms angebotenen Profilen in Facebook-Manier offenbar gezielt seine weiblichen Opfer aussucht, die er vergewaltigt, umbringt und dann im Kofferraum gestohlener Autos deponiert. Da die „Vogelscheuche“ IT-Spezialist ist und übers Internet auch McEvoys Recherchespuren verfolgen kann, ist er bald über die Absichten des Reporters informiert und will ihn auch beseitigen.

Plot-stark

Bestechend an The Scarecrow ist die spannende, überzeugende Verknüpfung des brisanten Plots mit der scharfen, präzisen Beschreibung des Journalistenalltags. Mit einer geradezu beängstigenden Detailfreude beschreibt Connelly auch die Möglichkeiten, die das Internet heutzutage Kriminellen bietet: McEvoy ist während seiner Recherchen nämlich fast paralysiert, als ihm die „Vogelscheche“ seine Passwörter klaut, seine E-Mails liest und löscht, die Kreditkarten ungültig macht und das Handy außer Funktion setzt. Für reichlich Spannung auf dieser Thriller-Ebene ist also gesorgt. Genauso faszinierend sind aber die Einblicke in den Arbeitsalltag der Reporter. Im Haifischbecken der LA Times ist zwar auch Teamwork angesagt, aber Jack wird sofort von der jungen „Cop-Shop“-Kollegin Angela, die er so gründlich und hilfsbereit einarbeitet, ausgebootet: Sie hält sich an keine Abmachung, biedert sich beim vorgesetzten Redakteur an und will Jack unbedingt seine brisante Story klauen. Doch dann ist sie spurlos verschwunden – ist sie bereits das nächste Opfer des Killers?

Chandler-Schule

Michael Connelly, 52, hatte schon als Teenie begeistert Raymond Chandlers Romane gelesen und seinen einsamen Tough Guy Philip Marlowe schätzen gelernt – jedenfalls fasste er schon früh den Entschluss, ähnliche Krimis mit einem ähnlich starken, unbeugsamen Außenseiter-Helden zu schreiben. Sein integrer Cop Hieronymus Bosch – von allen nur Harry genannt – hatte dann in den ersten Romanen tatsächlich viel mit Marlowe gemeinsam. Connelly studierte Journalismus und Creative Writing in Florida und lebt jetzt in Tampa. Er war selbst Polizei-Reporter bei der LA Times, bis er anfing, Krimis wie The Black Echo, Blood Work, Echo Park, The Lincoln Lawyer und den 1996 veröffentlichten Bestseller The Poet (preisgekrönt, in 31 Sprachen übersetzt) zu schreiben, von dem über drei Millionen Exemplare verkauft wurden. Er hatte auch als Reporter bei der inzwischen eingestellten „Rocky Mountain News“ in Denver gearbeitet. Viele Details der unendlichen Geschichte des US-Zeitungssterbens hat Connelly in The Scarecrow berücksichtigt. Auch die Parallelen zur deutschen Medienmisere sind ebenfalls unübersehbar.

Denn ähnlich wie der Renditejäger David Montgomery, der die Berliner Zeitung mit seiner Profitgier beinah in den Exitus befördert hätte, wird auch die LA Times schon seit Jahren von Investoren ausgeplündert, weiterverkauft und umgekrempelt. Viele LA-Times-Redakteure hatten schon vor Jahren gekündigt, weil die diffuse Grauzone zwischen redaktionellen Inhalten und bezahlten Anzeigen immer weiter ausgeweitet und auf intensive Recherchen immer weniger Wert gelegt wurde. Stattdessen rückte die Internet-Version der LA Times immer stärker in den förderungswürdigen Focus der neuen Besitzer.

Tödliche Rendite

So sorgt dann nicht nur der alles zermalmende Credit Crunch für die Vernichtung von Arbeitsplätzen, auch die Gier der Investoren, die Zeitungen vor allem nach ihrem Shareholder-Value beurteilen und wie renditeträchtige Hundefutterfabriken ausquetschen wollen, verstärkt die Krise der Print-Medien. Rendite statt Recherche lautet die Heuschrecken-Maxime, die dann eben auch ganz konsequent auf den Durchlauferhitzer Internet setzt. So dreht sich die Spirale immer weiter nach unten, scheint das Ende seriöser Zeitungen unaufhaltsam zu sein.

Connelly beschreibt die amerikanische Zeitungsmisere zwar mit ätzender Kritik und mit bissigem Humor. Zum Glück suggeriert er dem Leser aber auch, dass es noch Grund zur Hoffnung gibt, solange Haudegen wie McEvoy unbeirrt von Renditejägern und Freistellungsspezialisten ihre Enthüllungsgeschichten fabrizieren. McEvoy lehnt übrigens, als man ihm nach seinen sensationellen, stark beachteten Berichten über die Schlamperei des LAPD und über die brutalen Frauenmorde der „Vogelscheuche“ die Wiedereinstellung bei der LA Times anbietet, das Angebot rigoros ab, weil er jetzt ein Buch schreiben will. So haben wir in diesem großartigen Thriller eigentlich alles konzentriert, was man von einem spannenden Buch verlangt: Den rasanten Plot, die realistische Darstellung einer spannenden Arbeitswelt inklusive überzeugender Figuren und die faszinierenden autobiografischen Bezüge. Connelly demonstriert abermals überzeugend, dass ein „Krimi-Autor“ mitunter präzisere und mitreißendere gesellschaftspolitische Analysen liefern kann als Dutzende von hochkarätigen Soziologen.

Peter Münder

Michael Connelly: The Scarecrow.
London: Orion Books. 421 Seiten. 12,99 Pfund (2009).
US-Ausgabe bei Little, Brown &Co. 27,99 Dollar.

Die deutsche Ausgabe soll erst 2011 bei Heyne erscheinen.