Am 2.2.12 steigt in Hamburg das Literaturfestival „Ham.Lit“, die dritte „Lange Nacht junger deutschsprachiger Literatur und Musik“– präsentiert u. a. von CULTurMAG. 15 Autorinnen und Autoren lesen parallel auf drei Bühnen, dazu gibt es zwei Konzerte. Wir stellen Ihnen in den kommenden Wochen einige der Mitwirkenden vor. Heute: Michael Weins (Das gesamte Lineup finden Sie hier).
Mauern in den Köpfen
– Heiner Boie hat Probleme mit Türen. Ungewöhnliche Probleme, die ihm den Verdacht nahe legen, dass bei ihm im Kopf etwas nicht stimmen könnte. „Lazyboy“ ist mit Sicherheit einer der ungewöhnlichsten und gelungensten deutschsprachigen Romane des vergangenen Jahres. Von Frank Schorneck
Heiner Boie sitzt im Behandlungszimmer eines Arztes und versucht, sachlich zu schildern, was ihm in letzter Zeit widerfährt. Wenn er durch eine Tür tritt, kann er nie sicher sein, in den eigentlich dahinter liegenden Raum zu geraten. Wenn Heiner sich in der heimischen Küche ein Frühstück macht und mit diesem plötzlich nicht im Wohnzimmer, sondern in einem Möbelhaus steht, mag man zunächst noch an einen ungewöhnlichen Fall von Verwirrtheit und Gedächtnisverlust glauben, doch die Fälle häufen sich und die Situationen, in die der Erzähler gerät, werden heikler. Dass der Musikjournalist mit Mitte 30 konsequent seinen DJ-Namen Lazyboy benutzt und dass er selbstverständlich Drogenerfahrung hat, macht ihn nicht gerade zu einem zuverlässigen Patienten – auch nicht für die Psychologin, an die er verwiesen wird.
Die Grundkonstellation von Michael Weins’ neuem Roman ist absurd und der Autor nutzt die unkontrollierten Türsprünge seines Helden für vielerlei hochkomische Momente. Lazyboy begegnet diesen willkürlichen Ortswechseln so, wie er sein bisheriges Leben geführt hat: Er lässt sich treiben, genießt es insgeheim, die Verantwortung für seine Ziele aus der Hand zu geben. Dass sein Zeitplan gehörig aus den Fugen gerät und er kaum noch in der Lage ist, Verabredungen – sei es mit dem Chefredakteur, sei es mit seiner Freundin Monika – einzuhalten, kommt ihm durchaus entgegen. Bei Lazyboy ist der Name Programm. Michael Weins findet hier ein äußerst anschauliches Bild für Bindungsangst und Fluchtgedanken.
Die Begegnung mit der 13-jährigen Daphne fügt Lazyboys Abenteuern eine weitere Ebene hinzu: Das seltsam lebenskluge Mädchen führt ihn zu einer Tür, die sich für ihn zu einer gänzlich fremden Welt hin öffnet. In diesem märchenhaft verschlafenen Dorf namens Beek wird der Mann „von draußen“ für eine Art Messias, für den „Mittler“ gehalten, mit dessen Hilfe eine als unüberwindbar geltende Mauer überwunden werden soll. Die geteilte Stadt ist hier jedoch kein politisches Motiv, sondern spiegelt die Trennung beider Hirnhälften wider – denn während Lazyboy sich durchaus wohlzufühlen beginnt in dieser Parallelwelt, hat seine reale Verlobte einen schweren Autounfall und liegt im Koma. Heiner muss sich entscheiden, ob er in Beek den Retter spielen will oder in der realen Welt Verantwortung übernehmen und Monika beistehen soll.
Witz und Spannung garantiert
Michael Weins verbindet in seinem dritten Roman parabelhafte Elemente fantastischer Literatur mit einer faszinierenden Liebesgeschichte, die er durch den absurden Humor vor dem Kitsch rettet. Eine Prise „Alice im Wunderland“ oder „Narnia“ lässt die Realität verschwimmen. Dem Roman ist ein Motto von Murakami vorangestellt und damit greift der Autor keinesfalls zu hoch. Wie dem Japaner gelingt es auch Michael Weins, das Fantastische glaubwürdig im Alltag zu verwurzeln. Bei allem Witz lässt er in zahlreichen dramatischen Wendungen auch echte Spannung aufkommen. Dass Weins als Psychologe in seinem bürgerlichen Leben gewissermaßen Fachmann für die Ängste und Neurosen Lazyboys ist, drängt sich nie akademisch in den Vordergrund, verleiht der Geschichte allerdings ein solides Fundament. Gerade die Dialoge zwischen Lazyboy und seiner Therapeutin dürften dem Autor einiges an Vergnügen bereitet haben, das sich mühelos auf den Leser überträgt. Mit Sicherheit einer der ungewöhnlichsten und gelungensten deutschsprachigen Romane des Jahres.
Frank Schorneck
Michael Weins: Lazyboy. Hamburg: Mairisch Verlag 2011. 336 Seiten. 18,90 Euro. Weins Homepage, inklusive Leseproben, finden Sie hier.