Christina Mohr präsentiert in dieser Woche eine Buchmessenachlese und dreht sich dabei in weiten Kreisen um das Thema DIY.
Design und Punk
Simon Reynolds erklärt in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Bestseller „Retromania“, dass er kein Freund der Musealisierung von Pop, Rock und vor allem Punk sei, weil in Ausstellungen und Archiven zwar Devotionalien, nicht aber die Vibes einer bestimmten Musikepoche gezeigt werden können; ganz abgesehen davon, dass im Museum der Schwerpunkt naturgemäß in erster Linie auf dem Bild, weniger auf dem Klang liegt.
Dennoch – das behaupten wir an dieser Stelle einfach mal – wird Musikjournalist und Extrem-Archivist Reynolds an „Design und Punk“, dem in der Tat recht musealen Buch der britischen Punkexperten Russ Bestley und Alex Ogg garantiert viel Freude haben. Die Autoren – ein Grafikdesign-Dozent und ein Journalist – haben in dem großformatigen Werk über 500 stilprägende und charakteristische Artefakte in Gestalt von Flyern, Konzertplakaten, Plattencovern, Postern, Badges, Fanzines zusammengetragen, die die Punkästhetik prägten und über die „akute“ Zeit hinaus bis heute wirken.
Viele Motive kennt man, einfach weil sie so ikonisch sind: Jamie Reids Arbeiten für die Sex Pistols, John Holmstroms Illustrationen und Comics für das amerikanische Magazin „Punk“, das Cover des ersten Slits-Albums „Cut“, das Pulsar-Motiv von Joy Divisions LP „Unknown Pleasures“ und überhaupt Peter Savilles Design für Factory Records. Ogg und Bestley begnügen sich aber nicht mit der Abbildung von Altbekanntem, sie fördern auch jede Menge Punk-Gestaltung aus 35 Ländern wie der Türkei, Belgien, Frankreich, Deutschland, China oder Island (z. B. Björks erste Band Kukl!) zutage und spannen den Bogen weit über die 1970er-Jahre hinaus bis zu aktuellen Punk- und Hardcorebands.
Was für viele Genres gilt, trifft auf Punk in ganz besonderem Maße zu: Stil und Ästhetik gehören zur Gesamterscheinung wie die Musik; und gerade im frühen Punk scheint es, als würde durch das passende Plattencover, einen Schriftzug oder farbliche Gestaltung erst die Definition geschaffen. Natürlich ist „Design und Punk“ auch und zuallererst ein Memorabilia-Album: man zählt die Alben, die man besitzt oder die Konzerte, die man besucht hat.
Das Buch verweist aber auch auf eine Ära, in der Bands und KünstlerInnen wenigstens versuchten, ihrer Haltung, ihrem Abscheu, ihrem Hass und auch ihrer Begeisterung eine ästhetische Form zu geben – was bei vielen aktuellen Stars zum reinen Style-Bekenntnis verwässert, womit wir wieder bei Simon Reynolds und „Retromania“ wären…
Russ Bestley, Alex Ogg: Design und Punk (Hannibal, Gebunden, 224 Seiten, viele Abbildungen). Zur Homepage des Hannibal-Verlags.
Verschwendet? Verschwenderisch
Noch mehr Punk-Erinnerung, diesmal Deutschland only: Vor etwas mehr als zehn Jahren erschien Jürgen Teipels Interviewmontage „Verschwende Deine Jugend“, die ein unerwarteter Riesenerfolg wurde, ebenso wie die Compilation zum Buch und der zwar gleichnamige, aber bitte nicht mit den Geschehnissen im Buch gleichzusetzende Film.
Zum Jubiläum entschloss sich Suhrkamp zu einer erweiterten Fassung mit in der Originalfassung nicht verwendeten Interviewparts und Fotos; Teipel selbst steuert ein aktuelles Vorwort bei, in dem er auf die vergangenen zehn Jahre und die Bedeutung des Buches eingeht. Empfehlenswert für alle, die Anfang der 2000er-Jahre noch zu jung für den Punk- bzw. NDW-Recall waren; begrüßenswert ist außerdem, dass die aktuelle Ausgabe von Gudrun Gut ca. anno 1977 geziert wird.
Und wo wir schon im retromanischen Re-Release-Rausch sind: vor, nach und neben der Lektüre von „Verschwende Deine Jugend“/2012 empfiehlt es sich unbedingt, die jüngst bei Bureau B wiederveröffentlichten Werke von Palais Schaumburg und Andreas Dorau anzuhören. Ohne Dorau und Schaumburg wäre deutscher Punk nämlich auch nur Deutschpunk.
Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Erweiterte Fassung (Suhrkamp TB, Broschur, 454 Seiten). Zur Surhkamp-Homepage.
Palais Schaumburg (Bureau B, Deluxe-Edition, 2 CDs). Remastered und um eine Live-CD erweitert.
Andreas Dorau: Immer Ärger mit der Unsterblichkeit (Bureau B, ReRelease von 1992).
Reissue: das 1992er-Album des Popbesessenen; plus Bonus-Tracks und der ersten Version von „Stoned Faces Don´t Lie“.
Andreas Dorau: Demokratie (Bureau B, ReRelease von 1988). 1988er-Comebackalbum des Hamburgers, produziert von Michael Nyman; plus Bonus-Tracks. „Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie!“
Grumpy old Man
Dass der 2004 an Krebs verstorbene John Cummings alias Johnny Ramone ein – vorsichtig ausgedrückt – extrem konservativer, genauer betrachtet ein ziemlich spießiger, rassistischer und sexistischer Unsympath war, gehört zu den großen Ungereimtheiten der Punk-History. Es ist unbestritten, dass die Ramones ohne ihren Gitarristen, „Commandante“ Johnny nicht die Bubblegum-Surf-Superpunkband geworden wären, als die man sie bis heute vergöttert. Genauso unbestreitbar ist aber auch, dass Mr. Cummings besser nur Gitarre gespielt und keine Statements zu Rap, Disco, Schwarzen, Frauen und Schwulen im Allgemeinen und Besonderen abgegeben hätte. Nach wilden Jugendjahren als alkohol- und drogensüchtiger Kleinkrimineller vollzog er mit zwanzig eine Kehrtwende, trank nicht mehr, hörte auf, sich zu prügeln und gründete mit Joey, Tommy und DeeDee die Ramones – so weit, so geil.
Ungeil sind Äußerungen wie z. B. „Jerry Harrison von den Talking Heads trieb mich in den Wahnsinn (…) das waren alles Intellektuelle. Tina Weymouth war unerträglich.“ Oder: „Ich redete mit niemandem. Ich ging ins CBGB´s und dachte, dass ich von einer Horde Arschlöcher umgeben bin. Die Leute dachten, ich wäre unfreundlich, aber das stimmte nicht. Ich mochte nur die Leute nicht, mit denen ich zu tun hatte.“Oder: „Es war ekelhaft. Plötzlich stand er (DeeDee) auf Rap, den wir aus tiefstem Herzen hassten.“ Undsoweiterundsofort, Bonmots wie diese finden sich auf fast jeder Seite von „Commando“, Johnny Ramones Autobiographie und Vermächtnis. Aber es hilft ja nichts: um die Ramones in Gänze erfassen und verstehen zu können, muss man auch dieses Buch gelesen haben.
Commando: Die Autobiographie von Johnny Ramone (Tropen/Klett Cotta, Gebunden, 162 Seiten). Übersetzt von Gunter Blank und Simone Salitter. Zur Tropen-Website.
Do! It! Yourself!
„Hätte ich dieses Buch doch schon als junges Mädchen gehabt!“ – dieser Seufzer entfuhr mir bei der Lektüre von „Mach´s selbst. Do it yourself für Mädchen“ sehr oft. Dass das Buch in dieser Rubrik gelandet ist, erklärt sich dadurch, dass Punk und DIY schon immer Hand in Hand gingen, bzw. der Mut zur Selbstermächtigung durch den DIY-Ethos Punk überhaupt erst möglich machte.
Die Herausgeberinnen des Missy Magazines, Sonja Eismann und Chris Köver und Grafikdesignerin Daniela Burger werden sich wohl kaum als Punk-Ladies bezeichnen, verkörpern aber nicht zuletzt durch die Publikation von Missy DIY par excellence. Sie sagen, dass man nicht alles können muss (wie erleichternd!), dass es aber nicht schadet, wenn man Dinge selber machen kann wie z. B. ein Loch in die Wand bohren, einen Fahrradschlauch flicken, Kleider nähen, einen Blog erstellen oder spontan für ganz viele Leute kochen.
Etwas selbst zu können bedeutet nämlich: Unabhängigkeit. Von Eltern, Freunden und authorities aller couleur. Wie cool es ist, Sachen selber zu machen, beschreiben im Buch coole Frauen wie Beatboxerin Steff La Cheffe oder die Grande Dame des Freien Radios, Katja Röckel alias Mrs. Pepstein aus Leipzig und geben Einblicke in ihre Arbeit.
Toll ist, dass sich die Herausgeberinnen nicht auf dekorative oder „typisch mädchenhafte“ Tätigkeiten wie Kochen, Backen, Garten- und Handarbeiten (heute: Crafting) beschränken, sondern auch erklären, wie man eine Onlinepetition startet, sich politisch engagieren oder Mobbing und Rassismus entgegen treten kann. Kurzum: eine notwendige Bereicherung des allzu pinkfarbenen Mädchenbuchmarkts. Grab your drill, girl!
Sonja Eismann, Chris Köver, Daniela Burger: Mach´s selbst: Do it yourself für Mädchen (Beltz, Gebunden, 160 Seiten). Zur Homepage von Beltz, zur Website vom Missy Magazine.