Der jüdische Batman
Der engagierte Liebeskind Verlag macht sich seit einer Weile um das Werk des 2001 verstorbenen kanadischen Schriftstellers Mordecai Richler verdient, dessen zahlreiche Bücher in deutscher Sprache entweder noch gar nicht vorliegen oder aber – wie im Fall von Der Traum des Jakob Hersch – nur noch auf antiquarischem Weg zu ergattern waren. Von Frank Schorneck
Wir schreiben das Jahr 1967, und Jakob Hersch hat ein Problem: Er sitzt auf der Anklagebank des altehrwürdigen Londoner Old Bailey, ihm wird vorgeworfen, ein deutsches Au-pair-Mädchen vergewaltigt zu haben. Dass bei einer Hausdurchsuchung neben einer Bibliothek, die „zum Marquis de Sade tendiert“, in einem Schrank des Nicht-Reiters auch ein Sattel und eine Reitgerte gefunden werden, die in den Schilderungen des Mädchens eine nicht unerhebliche Rolle spielen, trägt nicht gerade dazu bei, seine Unschuld zu beweisen. Ein Drehbuch aus seiner Feder, das von uniform-fetischistisch-pornografischen Zügen geprägt ist, wird den Geschworenen ebenfalls vorgelegt …
Während die Prozesstage voranschreiten, erzählt Richler, wie Hersch in diese prekäre Lage geriet. Im orthodox-jüdischen Einwandererviertel Montreals, in der St. Urbain-Street, wächst Hersch auf, während in Europa die Kriegsmaschinerie läuft und die Verbrennungsöfen rauchen. Er schämt sich des jiddischen Akzents seiner Eltern; Zeit seines Lebens versucht er, sich von diesen Wurzeln zu lösen. Auf der anderen Seite sieht er in seinem älteren Cousin Joey Hersch in jugendlicher Verklärung einen Helden, der an nahezu allen Fronten der Welt gegen alte und neue Nazis kämpft. Wie der Golem oder – in Jakobs eigenen Worten – „eine Art jüdischer Batman“ rächt dieser als dunkler Reiter die verfolgten und getöteten Juden.
Auch wenn sich im Lauf der Zeit die Hinweise verdichten, dass Joey eher ein Kleinkrimineller und eheschwindlerischer Hallodri als ein Held ist, baut ihn Jakob in seinen Träumen zu seinem wagemutigen Alter Ego auf. So hat er es letztlich auch Joey zu verdanken, dass er den windigen Erpresser Harry Stein kennenlernt. Jakob lebt zu der Zeit bereits in London, er ist ein Regisseur, dessen finanzieller Erfolg in einer juristischen Klausel begründet ist, die ihm ein großzügiges Ausfallgehalt sichert, wenn er keinen Film dreht. Aus seinem großen Traum, einmal einen Oscar abzulehnen, wird so wohl nichts werden. Er hat es zu Wohlstand, einer nichtjüdischen Frau und zwei Kindern gebracht, doch selbst im Swinging London der 1960er-Jahre kleidet sich sozialer Neid in antisemitische Gewänder.
Scharfzüngige Dialoge, gewagte Polemiken
Wie alle Romane von Richler ist auch dieser ein Fest für Freunde scharfzüngiger Dialoge und gewagter Polemiken, gespickt mit wundervollen Nebenfiguren und Nebenschauplätzen. Vielleicht nicht ganz so furios und stringent erzählt wie Wie Barney es sah oder Solomon Gursky war hier ist Der Traum des Jakob Hersch dennoch ein Buch, das neben die Werke von Philipp Roth auf die Bestsellerlisten gehörte.
St. Urbain’s Horseman, so der Originaltitel, erschien im Original 1971, erst 15 Jahre später kam Gisela Steges Übersetzung im Hanser Verlag heraus. Bei der Liebeskind-Ausgabe handelt es sich um eine unüberarbeitete Neuauflage – dass allerdings das Glossar, das in der früheren Ausgabe noch recht ausführlich Begriffe aus dem amerikanischen Jiddisch erläutert hat, massiv gekürzt wurde, ist ein kleines Manko.
Frank Schorneck
Mordecai Richler: Der Traum des Jakob Hersch (St. Urbain’s Horseman, 1971). Roman.
Deutsch von Gisela Stege.
München: Liebeskind Verlag 2009. 584 Seiten. 24,80 Euro.