Rock gegen Blähungen
Kann man über die Liebe zur Musik, zu einer ganz bestimmten Musik überzeugend schreiben? Man kann, und wie – das beweist Navid Kermani in seinem „Buch der von Neil Young Getöteten“.
Die neugeborene Tochter des Erzählers leidet unter furchtbaren Bauchkrämpfen – und die Eltern leiden naturgemäß mit. Einem eigenwilligen Impuls folgend legt der Vater, erklärter Neil Young-Fan, eine Platte seines Idols auf. Die ersten Akkorde von „The last Trip to Tulsa“ erklingen, und weil das Geschrei der Tochter das Intro übertönt, dreht der Erzähler den Lautstärkeregler auf. Gerade als er die Lautstärke schlechten Gewissens herunterdrehen will, stellt er fest, dass seine Tochter still geworden ist. Das sanfte Wiegen der Tochter in seinen Armen wird zu einem euphorischen Tanz. Banausen mögen nun einwenden, dass Youngs gequälte Piepsstimme nicht unbedingt ein Fortschritt gegenüber dem Kinderschreien sein kann, doch für den Fan ist dies die Erlösung.
„In drei Stunden kann man den „Last Trip to Tulsa“ etwa sechzehn mal hören“ stellt Kermani fest – und auch, dass andere Familienmitglieder und Nachbarn diese Begeisterung von Vater und Tochter nicht teilen. Und so wechselt er nach und nach die Stücke, arbeitet sich Schritt für Schritt durch Youngs Oeuvre.
Kermani erzählt, welche Platten er seiner Tochter vorspielt, wie ihre Reaktion auf die jeweiligen Stücke ist. Gleichzeitig verleiht er seiner Bewunderung für Neil Young Ausdruck und fachsimpelt – immer als Fan, nicht als Musikkritiker – über Youngs Musik und Lebenslauf. Und immer stärker wird das Buch auch zu einer wundervollen Liebeserklärung an die Tochter.
Mit diesem 2002 erschienenen Buch, das nun als Taschenbuch vorliegt, wagte sich der in Köln lebende Islamwissenschaftler Navid Kermani erstmals in Prosagefilde. Mit „Vierzig Leben“ lieferte er Anfang 2004 einen eindrucksvollen Erzählband nach, in dem er eine größere literarische Bandbreite unter Beweis stellen kann als in der euphorischen Huldigung Neil Youngs.
Frank Schorneck
Navid Kermani: Das Buch der von Neil Young Getöteten. Kiepenheuer & Witsch Oktober 2004. Taschenbuch. 176 Seiten. 7,90 Euro.