Geschrieben am 10. März 2012 von für Bücher, Crimemag

Oliver Bottini: Der kalte Traum

Aufklärung

Oliver Bottini ist immer ein Liebling des Feuilletons gewesen. Sein neuer Roman „Der kalte Traum“ geht neue Wege im neuen Verlag. Joachim Feldmann ist mit dieser Entwicklung sehr zufrieden …

Das Foto zeigt einen jungen Soldaten, der einem Greis eine Pistole an die Schläfe hält. Es illustriert einen Artikel vom 25. August 1995, in dem die Rückeroberung der seit 1991 bestehenden Republika Srpska Krajina durch kroatische Truppen gefeiert wird. Zu Beginn der Kriege im ehemaligen Jugoslawien hatten die serbischen Bewohner die Region zum autonomen Staatsgebiet erklärt. Verbunden war diese Aktion mit Massakern am kroatischen Teil der Bevölkerung, für die sich bald der furchtbare Begriff „ethnische Säuberung“ einbürgen würde. Dass der vier Jahre später erfolgende Einmarsch der kroatischen Armee zu vergleichbaren Gräueltaten führte, weiß man spätestens, seit im vergangenen Jahr ein General, der für die Angriffe verantwortlich war, vom Den Haager Kriegsverbrechertribunal zu einer langjährigen Hafstrafe verurteilt wurde. Doch davon ist in dem Artikel einer Regionalzeitung aus Split nichts zu lesen. Stattdessen werden die Heldentaten des kroatischen Militärs besungen. Und unter dem Foto findet sich die Zeile: „Ein serbischer Schlächter zittert vor der gerechten Strafe durch den jungen Kapetan“.

Was ist passiert, wer ist wer?

Wer ist dieser Kapetan? Das möchte Yvonne Ahrens wissen,die seit einigen Monaten als Korrespondentin einer deutschen Zeitung in Zagreb arbeitet. In einem Archiv ist ihr der Zeitungsausschnitt in die Hände gefallen, und nun lässt sie das Bild nicht mehr los, der „blanke Zorn“ des Kroaten, die „panische Angst“ des Serben. Die Recherchen der Reporterin bleiben scheinbar erfolglos – das Foto ist nur in dieser einen Zeitung erschienen. Und die existiert seit fast 15 Jahren nicht mehr. Doch es gibt einen Mann, der genau weiß, was sich hinter der Aufnahme verbirgt. Ivica Markovic vom kroatischen Geheimdienst hat zwar inzwischen eine andere Aufgabe, doch zu verhindern, dass allzuviel von dem, was während der Balkankriege passierte, ans Licht kommt, ist ihm noch immer ein Anliegen.

Also schickt er zwei wenig zimperliche Agenten nach Deutschland, um einen Mann zu suchen, der angeblich seit 1995 tot ist. Thomas Ćavar, Sohn exilkroatischer Eltern, hatte kurz nach dem Abitur Deutschland verlassen, um für seine „wahre Heimat“ zu kämpfen. Dort soll auch seine Leiche liegen, verscharrt in einem Massengrab mit vielen seiner Kameraden. Wenn das allerdings nicht wahr sein sollte, hat Markovic ein Problem, das nur gelöst werden kann, indem Ćavar tatsächlich stirbt.

Verdrängung

Oliver Bottinis neuer Roman „Der kalte Traum“ erzählt von falschem Idealismus, von Liebe und Verrat. Und er erinnert an ein Kapitel europäischer und eben auch deutscher Geschichte, das man, mehr als zwei Jahrzehnte nach Ausbruch der Balkankriege, gerne verdrängen würde. Denn das gerade wiedervereinigte Deutschland war nicht unbeteiligt an dem Konflikt zwischen den ehemaligen Teilstaaten Jugoslawiens, der solch schreckliche Folgen haben sollte. Nicht wenige meinen, dass es ein Fehler war, die Europäische Gemeinschaft zur frühen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens zu drängen. „Mittlerweile müssen Kohl und sein damaliger Außenminister Hans-Dietrich Genscher mit dem Vorwurf leben, dass sie sich 1991 mit neudeutscher Großspurigkeit zu weit vorgewagt haben“, schrieb der „Spiegel“ 1994.

Ein damaliger hoher Beamter des Auswärtigen Amtes, das FDP-Mitglied Richard Ehringer, ist dann auch eine weitere zentrale Figur in diesem Roman. Er hatte dafür gesorgt, dass ein missglückter Waffenschmuggel, Thomas Ćavars erster Einsatz für die „kroatische Heimat“, ohne rechtliche Folgen für den jungen Mann blieb. Auch jetzt noch fühlt sich Ehringer, inzwischen außer Dienst und nach einem Verkehrsunfall querschnittsgelähmt, für Ćavar verantwortlich und will herausfinden, was 1995 wirklich geschehen ist. Die Nachforschungen soll sein Neffe, der Kripobeamte Lorenz Adamek, durchführen. Dem sagt er allerdings zunächst nicht die ganze Wahrheit.

Oliver Bottini (Quelle: wikipedia)

Wahrheit

Überhaupt kristallisiert sich die Frage nach dem, was als Wahrheit gelten kann, im Laufe des Romans als ein grundlegendes Motiv heraus. So steht im Mittelpunkt des ersten Kapitels der kroatische Agent Saša Jordan, der seine Familie im Krieg verloren hat und selbst Gefangener in einem serbischen Lager war. Dieser Mann, dessen Leidensgeschichte unser Mitleid weckt, zeigt sich wenig später als skrupelloser Killer, während der Ex-Söldner Dietrich Marx, dessen politische Ansichten gelinde gesagt, ausgesprochen fragwürdig sind, sich als loyaler Freund erweist. Vielleicht ist der äußerlich so charmante Markovic tatsächlich die einzige wirkliche Schurkenfigur in diesem Roman, dessen Qualität nicht zuletzt darin liegt, dass er seinen Lesern die Freiheit des Urteils zutraut.

Nach Ulrich Ritzels großartigem „Schlangenkopf“ ist „Der kalte Traum“ der zweite politische Kriminalroman in kurzer Zeit, der sich auf ästhetisch überzeugende Weise der Geschichte des Balkankriegs und der unrühmlichen Beteiligung unseres Landes daran widmet. Und man mag beinahe wieder daran glauben, dass Literatur einst auch als Mittel der Aufklärung gedacht war.

Joachim Feldmann

Oliver Bottini: Der kalte Traum. Roman. Köln: Dumont Buchverlag 2012. 446 Seiten. 18,99 Euro. Kindle eBook 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

 

Tags :