Geschrieben am 2. Mai 2009 von für Bücher, Crimemag

Oliver Bottini: Jäger in der Nacht

Frust und Lust

Der Mensch ist schlecht. Wieso also das Böse nicht auch bei den vermeintlich Guten suchen? Oliver Bottini spürt es selbst in den Reihen der Kriminalpolizei auf und wundert sich auch noch. Jörg von Bilavsky wundert sich nicht mehr – höchstens über den Hype um Bottini.

Oliver Bottini nimmt es sehr genau mit seinen Figuren, seinen Themen und dem Alltag der deutschen Kripo. Wirklichkeitsnahe Polizeiarbeit und knisternde Spannung sollen sich nicht ausschließen, der Plot und die Motive so plausibel wie möglich sein. Vor allem möchte der erfolgreiche Krimiautor wissen, wie die Täter, in erster Linie aber die Kriminalisten ticken. Genauer gesagt, welchen Frust die Freiburger Hauptkommissarin Louise Bonì und ihre Kollegen schieben und welche Lust sie dennoch am Leben und Arbeiten hält. Zum vierten Mal macht er nun schon diese psychologischen Klimmzüge mit sozialkritischem Überschlag. Langsam scheint ihm jedoch der Atem auszugehen. Denn in seiner neuesten Krimikür hat er nicht viel Überraschendes zu bieten. Auch wenn er ein absolutes Tabuthema anschneidet.

Ficken, Fressen, Fußball …

„Sie haben sich nicht geändert, Louise“, bekommt Bonì von ihrem pensionierten Chef zu hören. Da ist was Wahres dran. Sie ist und bleibt eine der verletzlichsten, eigensinnigsten und bindungsunfähigsten Kommissare in der deutschen Krimilandschaft. Mittlerweile kennen wir ihre charakterlichen Defizite und ihr seelischen Defekte zur Genüge. Zumindest wissen all jene darum, die einen der ersten drei Romane kennengelernt haben. Wieso also werden wir erneut seitenlang Zeugen ihrer privaten Beziehungsprobleme, ihrer beruflichen Konflikte mit Kollegen, die sie mit wenigen Ausnahmen permanent mobben, aber nicht verdrängen können, da auf der Zielgeraden immer weider weibliche Ahnung über männliche Härte siegt? Weil sich dieses Strickmuster bei KritikerInnen und LeserInnen bestens bewährt hat. Die Urteile der KrimiWelt-Jury und die Verkaufszahlen legen davon ein beredtes Zeugnis ab.

Der Frauen- und Genderforschung bieten Bottinis Romane reichlich Stoff, dem Krimileser bieten sie mittlerweile Verdruss, wenn er ständig mit Bonìs Männertrauma („Ficken, Fressen, Fußball, das sind ihre Grundbedürfnisse“) und dem „Machismo“ ihrer Vorgesetzten traktiert wird. Frauen haben es in der Männerdomäne Kripo gewiss nicht leicht und mit allerlei Anfeindungen und Vorurteilen zu kämpfen, aber die Haltung und Stellung, die sie in ihrer Dienststelle einnimmt, ist einmalig und auf Dauer wenig einleuchtend. So naiv wie Bottini den Kampf der Geschlechter illustriert, so sieht auch Bonìs Bild von der Welt aus: „So war es eben, dachte sie, so war die Gesellschaft auch hier, nach außen schön und freundlich, in sich verfault, ein Sumpf aus Trieben, Machtgelüsten, Hemmungslosigkeit, die sich überall auf sanktionierte Weise Bahn brachen und manchmal auf grauenerregende“, sinniert sie, den wahren Täter als einzige schon im Blick. Welch banale Erkenntnis für eine Polizistin, die schon so oft hinter die brüchige Fassade bürgerlicher Anständigkeit geblickt hat.

Wie isses denn nur möglich?

Sicher lässt es den Leser moralisch nicht kalt, wenn zwei Jugendliche nachts eine vergewaltigte und misshandelte Studentin entdecken und mit dem Gedanken spielen, sich an der wehrlosen Frau sexuell zu vergehen. Dass die Jungs aus sozial verwahrlostem Hause selbst ins tödliche Visier der Vergewaltiger geraten, sorgt ebenso für Aufregung wie die Tatsache, dass die „Jäger in der Nacht“ allem Anschein nach aus gutbürgerlichem Hause stammen. Wirklich verwundern dürfte es den täglich von Horrormeldungen umfluteten Bürger allerdings nicht, wenn einer von ihnen aus Frust oder Lust die Kontrolle verliert, seinen niedersten Instinkten folgt und unvorstellbare Verbrechen begeht. Dieser Befund zeugt nicht von moralischer Abstumpfung, sondern bildet die ebenso grausame wie banale Realität ab.

Das Böse ist nicht selten banal. Die literarische Auseinandersetzung mit dem Bösen muss und darf es nicht sein. Bottini wie Bonì vermögen vor lauter Betroffenheit und Gutmenschentum die Abgründe der Täterpsyche nicht wirklich auszuloten. Sie kratzen nur an der Oberfläche, führen es vielleicht auf die Notgeilheit unbefriedigter Staatsdiener, die Langeweile erfolgsverwöhnter Karrieristen oder das unzüchtige Verlangen braver Familienväter zurück. Kein Wunder, dass sich Louise am Ende fassungslos fragt: „Wie ist es möglich, dass so etwas passiert? Im gemütlichen, ach so niedlichen Freiburg?“ Der Leser fragt sich hingegen am Ende: Wie ist es möglich, dass eine Ermittlerin so naiv und doch so erfolgreich sein kann. Aber vielleicht verdankt sich das Geheimnis ihres Erfolges einfach nur der Banalität des Guten.

Jörg von Bilavsky

Oliver Bottini: Jäger in der Nacht. Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2009. 336 Seiten. 14,95 Euro.