Atemberaubende und abgründige Erzählerin
– Schon mit ihrem kurzen finsteren Romandebüt über den Seemann und Säufer „Mc Glue“ (CulturMag-Kritik mit etwas Scrollen hier) ließ Ottessa Moshfegh im vergangenen Jahr aufhorchen. Mit „Eileen“ bestätigt die 36jährige ein ebenso atemberaubendes wie abgründiges erzählerisches Talent. – Von Karsten Herrmann.
Während ihr Romandebüt im England des 19. Jahrhunderts angesiedelt war, spielt ihr neuer Roman in einer nördlichen amerikanischen Kleinstadt in den 1960er Jahren. Hier lebt die titelgebende Protagonistin Eileen in einem heruntergekommenen Haus mit ihrem Vater, einem Säufer und Ex-Cop, der sie ausnutzt und stetig demütigt. Entsprechend hat sie ein extrem negatives Selbstbild von sich selbst entwickelt: „damals fand ich mich das Allerletzte – widerlich, abstoßend, untauglich für die Welt.“ Immer wieder kreist Eileen als rückblickende Icherzählerin um ihre Unscheinbarkeit und Unsicherheit zu dieser Zeit und lässt den Leser nach und nach auch hinter ihre biedere und prüde Kulisse blicken. Denn dort schwelt die Wut und der Widerwille gegen alles und jeden, dort erlaubt sie sich schwüle Sehnsüchte und sexuelle Fantasien und zeigt sich fasziniert von menschlichen Ausscheidungen aller Art.
Eileens Leben, das eher einem Vegetieren am Rande der Erstarrung gleicht, nimmt eine radikale Wende, als sie an ihrem Arbeitsplatz in einem Jugendgefängnis die Sozialpädagogin Rebecca kennenlernt. Sie ist eine große, hübsche, elegante und selbstbewusste Erscheinung, die Eileen völlig in ihren Bann zieht und plötzlich die Möglichkeit eines anderen Lebens aufscheinen lässt.
Doch dieses andere Leben wird ganz anders als erhofft, denn Rebecca verstrickt Eileen in ihr verbrecherisches Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit, das an Weihnachten seinem Höhepunkt zustrebt und kein Zurück erlaubt.
Die in Boston mit kroatisch-persischer Abstimmung geborene Ottessa Moshfegh zeichnet in „Eileen“ das packende Psychogramm einer ebenso abstoßenden wie faszinierenden Anti-Heldin und führt ihren Roman mit sich immer weiter erhöhender Spannung zu einem überraschenden und gewalttätigen Ende. Mit erstaunlicher erzählerischer Meisterschaft führt sie tief und expressiv in die Abgründe des Menschlichen und bringt die Welt zu einem düsteren Leuchten.
Karsten Herrmann
Ottessa Moshfegh: Eileen. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Liebeskind 2017. 334 Seiten. 22,00 Euro