Geschrieben am 12. Januar 2013 von für Bücher, Crimemag

Patrick Gensing: Terror von Rechts: Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik

9783867891639Der Deutsche Sonderweg ist anscheinend endlos

– Der Sachbuchautor Patrick Gensing sucht in „Terror von Rechts“ nicht nach netten Nachbarn. Gott sei Dank. Das tun genügend andere seiner Journalistenkollegen und verklären, ja romantisieren dadurch geradezu das Bild dreier Rechtsterroristen, die für eine scheinbar beispiellose Mordserie verantwortlich sind. Gensing beleuchtet die Hintergründe für eines der größten Verbrechen der letzten 90 Jahre – und damit ist nicht ausschließlich die Mordserie gemeint. Eine unausgewogene, wütende Rezension plus von Sophie Sumburane.

Deutschland strahlt mal wieder aus allen Poren – wegsehen, leugnen und sogar dulden. Rechtsradikalismus wird gern als historischer Tiefpunkt abgetan, es sei jetzt alles demokratisch in unserem schönen Land, wenn keiner aufmuckt, passiert auch keinem was – von diesem Denken ist es nur noch ein kleiner Schritt zu: Wenn die in ihrem Land geblieben wären, würden sie ja auch heute noch leben.

Mir dreht sich der Magen um bei der Vorstellung, wie vielen Menschen ein solcher Gedanke zumindest kurz durchs Hirn geschossen sein muss. Und Patrick Gensing auch.

Aber ach wo, die 10 Opfer starben ja nicht, weil sie Ausländer waren. Ein rechter Hintergrund schien für die Behörden völlig unvorstellbar. Stattdessen wurden die Opfer zu in Drogengeschäfte verwickelte Kriminellen gemacht, das passte einfach besser ins öffentliche Bild Deutschlands.

Auch in vielen anderen Fällen werden ausländerfeindliche Motive hartnäckig geleugnet, selbst wenn die Täter Reizgas unter dem heimischen Bett horten, die Wände ihrer Wohnung mit Nazi-Symbolik tapeziert sind und Blood&Honour-Musik aus allen Boxen dröhnt.

Ausländerfeindlichkeit als Motiv? Gibt es nicht.

Und so schönt die Bundesregierung auch fleißig Opferzahlen, wohingegen sie mit an Neurose grenzender Akribie Beweisfetzen sammelt, die einen „Zottelpunk“ der Staatsfeindlichkeit überführen können. Schließlich saß er ja da, in Dresden im Februar 2011, mittendrin in der Blockade, die die Nazis an ihrem Aufmarsch hinderte. Da findet sich schon ein Paragraph, der zur Festnahme des aufmüpfigen Punks bemüht werden kann. Auf der anderen Seite der Blockade bewarfen die Nazis derweil ein alternatives Wohnprojekt mit Brandsätzen, die Beamten saßen in ihren Einsatzwagen und schauten minutenlang zu.

Der Feind steht links

Linke werden sogar durch den deutschen Staat kriminalisiert. Jeder, der ansetzt, ins Wespennest der deutschen Gesellschaft zu stechen, steht ab sofort unter der Aufsicht des Verfassungsschutzes, der ganze Aktenbände füllen konnte, über einen Pfarrer, der in Dresden bei der Gegendemonstration Instrumentalmusik spielte und damit angeblich zum Steinewerfen anstachelte.

Aber nix wissen wollen über den NSU? Drei Jenaer Rechtsterroristen, die über Jahre hinweg Menschen ermorden konnten und dabei auch noch vom Geld des Verfassungsschutzes, durch ein äußerst zwielichtiges V-Mann System, finanziert wurde. Die V-Männer, die schon einmal ein NPD-Verbot verhinderten. Die V-Männer, durch die man angeblich die rechte Szene kontrollieren, ja sogar steuern kann. Tatsächlich ist es doch aber so, dass der bezahlte Nazi nur das weiter gibt, was er weiter geben will. Es handelt sich hier ja nicht um verdeckte Ermittler, sondern um kriminelle Schläger, die für ihr kriminelles Schlägersein auch noch vom Staat bezahlt werden, wie Gensing betont.

Und dieses Geld floss wohl auch in den NSU um die drei Jenaer.

Die braune Ecke

In Jena wehrte man sich gegen das in die „braune Ecke“ gestellt werden, mit einer zu tausenden unterschriebenen Petition an das ZDF, gegen einen TV-Beitrag. Man solle sich bei „allen“ Jenaer Bürgern entschuldigen. „Also auch bei den Neo-Nazis.“ Im Ernst?

Gensing bringt das Beispiel eines Jenaer „Bunthaarigen“, der in einem der Blogs, die zur „Ehrenrettung Jenas“ gegründet wurden, äußerte, dass auch er sich häufig misstrauisch beäugt und unwohl fühlt. „Und wer zwingt dich dazu, deine Haare bunt zu machen?“, bekam er als Reaktion. Eine Reaktion, die symptomatisch ist für unsere Gesellschaft. Halt die Füße still, mach mit, was dir gesagt wird und dir passiert auch nichts.

„Wir brauchen mehr Unruhe!“, fordert Gensing, mehr als nur einmal.

Das Buch sollte ein Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft sein, denn da, wo Rechte mit ihrer Ideologie fast schon anschlussfähig sind – wie Gensing herausarbeitet vor allem in ländlichen Regionen im Osten – wird die dort homogene Gesellschaft, (männlich, mittleren Alters, schlecht gebildet), zum Nährboden für rechte Ideologien. Repression und Angst gehören zum Alltag. Und die, die sich auflehnen, wie Organisationen für mehr Demokratie, werden durch eine Extremismus-Klausel bürokratisiert und damit praktisch lahmgelegt, wie Gensing darstellt.

Andere Linke, die gegen die braune Gefahr mobil machen wollen, werden zu deren Feindbild und häufig selbst Opfer von deren Gewalttaten. Und wieder so ein Gedanke, der vielen gekommen sein mag, bei dem sich mir der Magen ausleeren möchte: Selbst schuld, halt doch einfach den Rand.

Nein!

In einer Gesellschaft des Schweigens und Wegsehens können die Nazis sich frei und ungestört entfalten und ganze Landstriche unter ihre repressive Kontrolle bringen. Das ist ein wichtiger Punkt bei Gensing.

Thomas_Mann_Doktor_Faustus_1947Der deutsche Weg?

Beim Lesen des sehr emotional geschriebenen Buches musste ich dann auch immer wieder an Thomas Mann denken. Nein, nicht wegen des Stils, sondern wegen des „Deutschen Sonderwegs“, eine geschichtswissenschaftliche Theorie, die Thomas Mann in seinem Werk „Doktor Faustus“ so beschrieb, dass die Mentalität des deutschen Volkes seit Luther zwangsläufig in den Nationalsozialismus führen musste. Man sieht weg, hält den Mund.

Die Regierung ignoriert Demokratiebestrebungen aus dem Volk. Und tatsächlich ist es auch heute so, dass Parteien nicht mehr dynamisch sind. Stattdessen entscheidet eine kleine Elite über die Köpfe aller anderen hinweg – die dürfen dann nur noch absegnen, ein Vorgang, der vor allem in der aktuellen Finanzkrise furchtbar deutlich wurde.

Dazu kommt ein übersteigertes Nationalgefühl des Deutschen. Die Angst vor dem Fremden. Andere Kulturen, Sitten und Gebräuche werden nicht mehr als Bereicherung empfunden, sondern als Bedrohung. Erschreckend viele Deutsche sind der Ansicht, Deutschland würde überfremdet.

Eine Ansicht, die eine der Säulen der Nazi-Ideologie darstellt.

„Nazis fallen nicht vom Himmel. Nazis kommen aus der Gesellschaft“. So ist es. Und so sind die NPD und der NSU-Symptome von Missständen, nicht deren Ursache.

Rechte Gewalt, damit möchte man nicht in Verbindung gebracht werden. Eigentlich existiert sie ja auch gar nicht, die NPD nutzt doch nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und irgendwie haben die ja auch recht mit der Überfremdung.

Nein!

… wird man doch mal sagen dürfen …

Ein solches Denken ist Rassismus, auch wenn es nicht als Rassismus gemeint ist. Dieses „verharmlosen“ rechten Denkens führt dazu, dass die „Mitte“ immer mehr nach rechts rutscht, so Gensing. Muss ein Mann einem Muslim auf offener Straße ins Gesicht spucken, um eine rechte Handlung zu vollziehen? Warum reicht es nicht, ihn des Nazi-Seins zu bezichtigen, wenn er laut äußert, dass der Muslim in sein Land zurückgehen soll, wenn er sich nicht anpassen will? Was hat gelungene Integration mit Anpassung zu tun? Warum muss ein Türke deutsch werden, um in Deutschland leben zu dürfen?

Und vor allem: Warum kann ein Thilo Sarrazin rassistisches Gedankengut mit dem Satz „Das muss doch mal gesagt werden dürfen“ verbreiten, keiner stürmt die Buchläden und zerreißt die Hassschrift in der Luft, niemand scheint ernsthaft entrüstet – eine solche Meinung ist gesellschaftsfähig geworden. „Rechts“ als Zweig der Demokratie. Um Gotteswillen!

Die Nazis, das macht Gensing deutlich, wollen nicht Demokratie machen. Sie äußern keine Meinung, die zur Diskussion steht. Sie steht. Und alles was sich dagegen richtet, wird bekämpft. NPD Vorsitzender Holger Apfel bezeichnete das Parlament unlängst in guter Tradition als „Schwatzbude“.

Nazis schwatzen nicht, sie kämpfen. Darum kommt ihr Terrorismus auch ohne Bekennerschreiben aus. Ihr Bekennen ist die Tat selbst, wer das nicht sieht, leugnet es, erörtert Gensing treffend.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAEngagiert

Der „Zottelhippie“ ist das Feindbild unserer Gesellschaft. Der Linke. Das zeigte das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen Teile der Linkspartei vor kurzem sehr eindrucksvoll.

In der NPD sitzen in der vordersten Führungsriege wegen Gewalttaten verurteilte Verbrecher, wenn es so etwas in der Linkspartei gäbe, sei diese schon längst verboten, deutet Gensing an.

Mit vielen Zitaten durchsetzt, gibt Gensing einen fundierten Überblick über die Strukturen und Zusammenhänge des Nazi-Netzwerks, der Rolle der NPD als Bindeglied und legitimierende Instanz sowie einen Einblick in die Szene, Musikkultur und Publikationen der Nazis.

Für Leser, die mit der „Publikative.org“ vertraut sind, einem Internetblog, für den Gensing schreibt, bietet das Buch eigentlich nichts Neues. Es bündelt und strukturiert im Wesentlichen seine Arbeit als Journalist im Bereich des Rechtsterrorismus. Das Buch ist vor allem ein Manifest, ein Aufruf zu mehr „Unruhe“, der längst überfällig ist.

Patrick Gensing schreibt mit emotionaler, lebendiger Sprache, man spürt bei jedem Satz seine Involviertheit in den Kampf gegen Rechts und seine Empörung über die Ignoranz vieler Bundesbürger. Denn Neo-Nazis gibt es nur da, wo die Gesellschaft sie zulässt und nicht zurück drängt. Rechtes Gedankengut ist in den Köpfen vieler fest verwurzelt, manifestiert durch Medien, Umfeld und Nazi-Propaganda.

Mein „Un-“Satz des Jahres: „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber solche!“, wie oft hab ich ihn schon gehört, wie oft schoss er mir beim Lesen als Beispiel durch den Kopf.

Sophie Sumburane

Patrick Gensing: Terror von Rechts: Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik. Berlin: Rotbuch 2012. 240 Seiten. 14,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Zur Homepage von Sophie Sumburane.

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