Geschrieben am 1. September 2005 von für Bücher, Litmag

Paul Morand: Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers

Schwimmen, schwimmen

Für den Autor Paul Morand gibt es nur einen wirklich überzeugenden und dazu genussreichen Grund, in der Welt zu sein: wo und wann immer es möglich ist, an den Meeresküsten zu schwimmen und dabei Betrachtungen über das Leben, die Kunst, die Architektur und die Natur anzustellen. Eine Hommage auf das Schwimmen jenseits des Leistungssports.

„Die Strände werden nun verlassen, die tristen Strände, wo das Meer seufzt. Bald werden die Landstriche, auf denen die roten Sonnenschirme blühten, nichts mehr als kahle Bäume besitzen.“ Damit beginnt eine kleine Plauderei von Guy de Maupassant über das Ende der sommerlichen Badesaison am Meer. „Die Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers“ von Paul Morand am Ende eines ohnehin verregneten Sommers zu besprechen, scheint vollkommen deplaziert zu sein. Dieses, zum ersten Mal 1960 in französischer Originalsprache erschienene Buch, kann man eigentlich nur an wenigen Orten und dann im Hochsommer lesen. Von der ersten bis zur letzten Seite sind diese Aufzeichnungen eine große verführerische Hommage auf das Schwimmen und sich treiben lassen im Meer.

„Als auf schuldig bekennender Hedonist“, heißt es gleich zu Anfang des Buches, „und allzu sehr darauf bedacht, sich allein vom Geschehen wiegen zu lassen, wird der Autor schreiben wie er gelebt hat: rücklings auf den Wellen treibend, keine andere Methode als die seiner Laune kennend, auf der beschwerlichen Stiege hinab zu verlorenen Zeit.“ Gegliedert in drei Kapiteln ist dieses hohe Buch der Schwimmkunst. Zu Beginn durchstreift der Autor – ‚durchschwimmt‘ wäre angemessener – die Literaturgeschichte, auf der Suche nach dem Schwimmen als Thema des Schreibens (bei Lord Byron, Swinburne, Renè Quinton, Ralph Waldo Emerson). Es gäbe sicherlich noch sehr viel mehr ‚schwimmende Literaten‘ als diese kleine Aufzählung von Namen, die dem Autor wichtig sind. „Schwimmen in der Zeit“, so der Titel des zweiten Kapitels, ist einer Geschichte des Schwimmens, angefangen von den Griechen über Jean-Jacques Rousseau, Marcel Proust bis hin zur Entdeckung des „Crawl-Stils“ am Anfang des XX. Jahrhunderts. „Auf jeden Fall muß man (heute) sehr weit fahren, zieht es einen zurück zum immergleichen Salzsaum des großen Meeresmantels, nicht aber zu dieser Stickerei aus den immergleichen Bandenden.“ Im dritten abschließenden Kapitel entführt uns Paul Moran an europäische Küstenlandschaften, die ihm im Laufe seines „Schwimmerlebens“ die größten Bade- und Meeresfreuden bereitet haben. An die portugiesische Küsten, nach Andalusien, auf die Balearischen Inseln, nach Korsika, die Dalmatinsche Küste, die Cotes d`Azur, die französische Westküste.

Man liest diese Seiten mit großem Genuss und gleichzeitig mit einer immer beklemmender werdenden Trauer. Wenn sich schon der Autor in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts über die Zerstörung fast aller europäischer Küstenlandschaften aufregte, was sollen dann wir schwimmenden Zeitgenossen des XXI. Jahrhunderts noch sagen zur Zerstörung der Küsten in fast allen Ländern? Abgeschlossen wird das Buch mit einer Eloge auf Paul Morand durch keinen geringeren als Marcel Proust. Er schreibt aber weniger über den Schwimmer und Meeresfreund, sondern über den zur Zeit von Proust noch sehr jungen Schriftsteller Paul Morand. Sehr schön auch das Vorwort des Herausgebers und Übersetzers Jürgen Ritte. „Morands sentimentale Geographie ist sprunghaft wie das Gedächtnis, sprunghaft wie das Meer.“

Nach der Lektüre aber gibt es für die Leser des Buches nur noch einen Wunsch: wo immer es möglich ist, das Meer Tag für Tag genießen. Schwimmen, schwimmen…

Carl Wilhelm Macke

Paul Morand: Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers. Übersetzt von Jürgen Ritte. ‚mare‘-Bibliothek, Bd. 21, mare-Buchverlag, 2005, 191 S.