Geschrieben am 22. Juni 2013 von für Bücher, Crimemag

Penny Hancock: Ich beschütze dich

Penny_Hancock_IchbeschützedichNotgeil in London

– Alles hätte schiefgehen können bei Penny Hancocks Roman „Ich beschütze Dich“, Setting, Figuren, Stil. Ist es aber nicht. Carlo Schäfer zeigt, warum …

Man nehme: ein Londoner Haus an der Themse, eine Art Entführung, eine nicht mehr junge Gegenspielerin zur Protagonistin (Miss Marple?), ein rätselhaftes, dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit. Dann gebe man dem Buch auf Deutsch den blöden pilcherhaften Titel „Ich beschütze dich“, man gestalte das Cover wie einen Abenteuerroman für Lausbuben. Ahnen wir da nicht Schreckliches?

Wohl schon, wir irren aber. Zum Glück.

Zuerst mal kann die Autorin Penny Hancock für unser germanisches Feuerwerk an Sprachwitz und Design nichts, „Tideline“ ist der englische Titel, „Gezeiten“ wäre ein wirklich passender deutscher gewesen.

Zum zweiten aber schafft es die Autorin, dass zum Beispiel das Haus an der Themse auch nicht eine Minute lang als verbrauchter, Edgar-Wallace-verseuchter Handlungsort in den Sinn kommt. Das Haus steht dort, weil es in dieser Geschichte dort stehen muss, die Entführung, die so recht keine ist, findet statt, besser gesagt wird erst zu einer, weil die Psychologie der Figuren gar nichts anderes als dieses Böse erzeugen kann, ohne, dass eine der handelnden Personen selber böse wäre.

Auch die dunkle Vergangenheit wirkt nicht eingeführt, um Düsternis und Tiefe zu erzwingen, sie ist von Anfang an zwischen den Zeilen angelegt.

Kupferstich vs. Malen nach Zahlen

Nie quält uns die Autorin damit, dass sie Informationen loswerden will. Irgendwann erkennen wir, dass diese oder jene beiläufige Szene den Schlüssel zum Verständnis der Handlung geliefert hat – wir haben es aber nicht bemerkt. Das Haus, das London dieses Buches, die Personen werden lebendig, werden aber nicht in ermüdender Oberstufenprosa ins Detail beschrieben – die Autorin traut ihren Lesern zu, Lücken zu schließen, lässt die Leser aber auch nicht allein – Timing, gekonnt, Timing auch beim Einführen der Charaktere: Eine der Hauptfiguren hat zum Beispiel ein Alkoholproblem – wir merken das allmählich. Und die Autorin bringt das so geschickt ins Spiel, dass man eigentlich jedes Glas Wein für sich genommen in der jeweiligen Situation verzeihlich findet.

Nichts wirkt unmotiviert, hineingezwungen, damit der Plot nicht auseinanderfliegt. Selbst psychotisches Denken erscheint in sich klar und folgerichtig – das ist das wirklich Unheimliche. Wenn man da zum Beispiel an Kathrin Slaughters Sado-Orgien denkt – Kupferstich versus Malen nach Zahlen.

Sicher ist das auch ein Verdienst der Übersetzerin Eva Kemper: Die Sprache fließt wie die allgegenwärtige Themse, sie lullt nicht ein, langweilt nicht, sie reißt uns nicht pseudoambitioniert fort, sie treibt uns einfach kraftvoll durch die, in die Handlung. Unaufgeregt und stilsicher – ich darf neidvoll versichern: Sauschwer ist das.

Gut, der Gatte der Hauptperson, tief in den Sechzigern und von seiner Frau wohl schon immer zurückgewiesen, ist ein bisschen sehr notgeil. Aber er ist Arzt – unterstellen wir mal einfach eine Schreibtischschublade voll Viagra.

Ansonsten: Große Klasse.

Carlo Schäfer

Penny Hancock: Ich beschütze dich (Tideline, 2012). Deutsch von Eva Kemper. München: Goldmann Verlag 2013, 381 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage der Autorin.

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