Jäger des verlorenen Gedichtbandes
Die Grenzen zwischen Literatur und Realität lotet Peter Carey in seinem neuen Roman „Mein Leben als Fälschung“ aus, in dem ein fiktiver Autor von seinem Erfinder eine Identität einfordert.
Wieder einmal hat der zweifache Booker-Prize-Gewinner Peter Carey eine historische Begebenheit als Anregung für einen wunderbaren, doppelbödigen Roman gewählt: Ein fiktiver Autor, dessen Enttarnung den Herausgeber eines Literaturmagazins bloßstellt und sogar vor Gericht bringt.
Die wahre Geschichte, die sich 1944 in Australien zugetragen hat, dürfte dem europäischen Leser unbekannt sein, doch das schmälert in keinster Weise das Lesevergnügen.Sarah Elisabeth Jane Woude-Douglass, genannt Micks, 1930 in eine gutsituierte australische Familie hineingeboren, hat schon in frühen Jahren Kontakte zu Künstlern und Literaten. Kein Wunder also, dass sie später eine Literaturzeitschrift herausgibt. Ausgerechnet der alte, aber reiche Autor John Slater, den Micks für den Tod ihrer Mutter verantwortlich macht, lädt sie 1972 nach Kuala Lumpur ein. Dort treffen sie auf einen seltsamen Europäer, der in einem Fahrradladen ein ärmliches Dasein fristet. Mit dieser Begegnung nimmt eine magisch-verschachtelte Geschichte ihren Lauf.
Christopher Chubb, so der Name des Fremden, berichtet, wie er vor vielen Jahren den Herausgeber eines kleinen Literaturmagazins bloßstellen wollte, indem er ihm konfus zusammengestückelte Gedichte unter dem Namen eines fiktiven Autors mit illustrem Lebenslauf angeboten hatte. Doch neben dem literarischen Skandal hatte der Herausgeber, als Jude sowieso angefeindet, plötzlich noch eine Pornografie-Anklage auszustehen. Die Geschichte kippt ins phantastische, als plötzlich Bob McCorkle, der nur fiktive Autor, auf der Bildfläche erscheint und seinem Herausgeber helfen will. Durch seine unterschwellig gewalttätige Art treibt er den Herausgeber jedoch in den Selbstmord. Von Christopher Chubb, seinem Erfinder, will McCorkle nun eine richtige Identität, eine Geburtsurkunde, ein Leben erhalten. Als er Chubbs Tochter im Kleinkindalter entführt, beginnt eine wilde Verfolgungsjagd durch die politischen Wirren Kuala Lumpurs der fünfziger und sechziger Jahre, tief hinein in die halluzinatorische Hitze des Dschungels.
Prometheus und die literarischen Monster
Während Micks den Erzählungen des alten Mannes zuhört, wächst in ihr die Hoffnung, an die Gedichte McCorkles zu kommen und mit dieser literarischen Sensation ihr eigenes Magazin aus der Krise zu manövrieren.
Mein Leben als Fälschung ist ein raffiniertes literarisches Verwirrspiel, das den Prometheus-Gedanken auf besonders originelle Art aufgreift. Natürlich wurde das Motiv eines literarischen Frankenstein-Monsters unter anderem auch von Stephen King des öfteren belebt (z.B. in Stark), doch Carey geht es viel weniger um die Bedrohung, die von der zum Leben erweckten literarischen Figur ausgeht, sondern vielmehr darum, die Grenzen zwischen Literatur und Wirklichkeit auszuloten – und ganz nebenbei die Eitelkeiten im Literaturbetrieb bloßzustellen. Es ist kaum zu glauben, welch abenteuerliche Wendungen Carey in den lediglich 280 Romanseiten unterzubringen vermag, ganz außer Atem glaubt man nach der Lektüre, aus der Welt eines mindestens doppelt so dicken Buches aufzutauchen.
Frank Schorneck
Peter Carey: Mein Leben als Fälschung. Roman. A. d. Engl. v. Regina Rawlinson. S. Fischer, 2004. 288 S., geb., EUR 19,90 Euro. ISBN 3-10-010226-6