Geschrieben am 30. November 2011 von für Bücher, Litmag

Peter Handke: Die Geschichte des Dragoljub Milanović

Höre, Schuhband, zerschlissenes!

– Die Verteidigungsrede des Peter Handke für Dragoljub Milanović. Von Carl Wilhelm Macke.

Er hat alles Recht der Welt und als freier Schriftsteller sowieso, ein rechtskräftiges Urteil anzugreifen. Und gegen ein Urteil, das sich tatsächlich auf ein sehr dünnes Beweismaterial stützt, sollte ein Schriftsteller mit allem ihm zur Verfügung stehenden Wortreichtum Stellung beziehen. Das macht denn auch Peter Handke in seiner schmalen Verteidigungsschrift für den in Belgrad inhaftierten Fernsehjournalisten Dragoljub Milanović. So weit, so gut. Und gut geschrieben ist dieses schmale Plädoyer für die Freiheit eines Gefangenen ganz gewiss, der angeblich den Tod von sechzehn Angestellten seines Senders bei einem NATO-Luftangriff im Jahre 1999 zu verantworten hat. Es gibt, wie immer bei Peter Handke, wunderbare Wortgirlanden mit aberwitzigen Satzkonstruktionen, berauschenden Metaphern mit hohen – manchmal aber auch hohl klingenden – Tönen. Auf jeder Seite findet man Formulierungen, die, jedenfalls Handke-Fans, nur so aufsaugen und am liebsten auswendig lernen möchten. Zum Beispiel die allerletzten Satzfetzen des Büchleins: „So höre, Schuhband, zerschlissenes. Hör zu, verrosteter Nußknacker. Hör zu, krumme Nähnadel. Höre, verstaubtes Stofftier. Höre, mein abgewetzter Fußabstreifer. Höre zu, Spiegelbild.“

Aber wenn Handke über Serbien, über „sein Serbien“ schreibt, geht ihm auch immer der Gaul durch. Da lässt er nicht mit sich reden. Jede Infragestellung seiner Sympathien für Serbien, nein, nicht für Serbien, für den extrem nationalistischen Teil der öffentlichen Meinung in Serbien, wehrt er bissig und besserwisserisch ab. So wird ihn auch die Kritik an dieser fragwürdigen Verteidigungsschrift eines fragwürdigen serbischen Journalisten nicht erreichen. Für ihn sind das alles ferngesteuerte Meinungen von intellektuellen Wachhunden des Westens, von ignoranten Eintagestouristen in den Schluchten des Balkans. Serbien ist für ihn ein sauberes, unschuldiges Land mit Menschen, die sich noch zu wehren wissen. Aufrecht Gehende hier, vor der Mehrheitsmeinung Buckelnde dort. Dazwischen ödes Niemandsland mit Supermärkten und Spielhöllen.

Hätte Handke bloß

Hätte Peter Handke doch vor der Abfassung seiner so wortgewaltigen Verteidigung von Dragoljub Milanović doch wenigstens einen Journalisten gesprochen, der ein ganz anderes Bild des jetzt leidenden ehemaligen Fernsehdirektors gezeichnet hätte. Hätte Handke sich doch wenigstens die Zeit genommen für eine Recherche auch im gegnerischen Umfeld des Porträtierten. Hätte Handke (oder der Verlag) wenigstens in einer Fußnote mehr biografisches Material zu der doch sehr zweifelhaften Berufskarriere des Dragoljub Milanović zusammengestellt.

Vorausgesetzt, das alles hätte Handke getan, dann wäre diese Verteidigungsschrift für einen Journalisten, der aufgrund eines offensichtlich sehr fragwürdigen Urteils für Jahre in Haft sitzt, tatsächlich etwas glaubwürdiger und überzeugender. So aber erfährt der Leser von Handke nichts Neues. Ein Wortfeuerwerk in dunkler Nacht – nichts weiter. Dass ein so sensibler, so sprachmächtiger, so fantasiereicher Schriftsteller in seinen politischen Stellungnahmen, vor allem Serbien betreffend, so einseitig, so verblendet, so obsessiv von „seiner“ Wahrheit überzeugt sein kann, nimmt man immer wieder staunend zu Kenntnis.

Danilo Kiš, einer der ganz großen Schriftsteller nicht nur Serbiens, sondern Europas im vergangenen Jahrhundert, hat einmal gefordert: „Wenn du nicht die Wahrheit sagen kannst – schweige.“ Warum handelt Handke, der doch ansonsten Kiš schätzt, nicht auch einmal nach dieser klugen Einsicht? Aber ihn wird diese Mahnung nicht erreichen.

Carl Wilhelm Macke

Peter Handke: Die Geschichte des Dragoljub Milanović. Salzburg und Wien: Verlag Jung und Jung 2011. 40 Seiten. 9,00 Euro.

Tags :