Geschrieben am 25. September 2013 von für Bücher, Litmag

Peter Kurzeck: Der radikale Biograph

Peter Kurzeck_Der-radikale-Biograph„Aus Böhmen und ohne Haus“

–Dass dieser Bildband zustande kam, um Peter Kurzecks 70. Geburtstag zu feiern (eine Liste der Gratulanten, sprich Sponsoren, findet sich im Anhang, und stolze Buchhandlungen sind darunter), ist ein Glück. Mit Klugheit und Empathie zusammengestellt, schön gedruckt auf schönem Papier, ist dies ein Geschenk, wie es ein Autor nur wünschen kann. Von der ersten bis zur letzten Seite erzeugt das Buch jene singuläre Kurzeck – Wehmutsfreude, die alle, die zu seinen Lesungen pilgern oder seine unvergleichlichen CDs hören, immer aufs Neue suchen. Von Gisela Trahms.

Wie Kurzeck ausschaut und in welchen Orten er lebte und lebt, ist bekannt. Aber wie er ausgeschaut hat, früher, als ruheloser junger Mann, und wie er sich veränderte und älter wurde und immer ähnlicher dem, der er sein sollte und wollte, das lässt sich nun dank Erika Schmieds und der Stroemfeld-Lektoren Geschick wunderbar nachverfolgen. Denn die Zeit, auch Kurzecks Zeit, vergeht eben immerzu und ist, kaum hat man’s gedacht, schon wieder vergangen. Alles bröckelt und bröselt, Menschen wie Dinge wandeln sich und verschwinden und sind am Ende nirgendwo wiederzufinden außer im Gedächtnis.

Das besitzt Kurzeck in überwältigendem Maße, der ganze Kopf auf dem zierlichen Körper scheint erfüllt davon, weshalb sein Erzählen niemals stockt. Das eigene Leben und die Zeit bilden den unerschöpflichen Stoff, und so, wie sie sich lesen, erwecken seine Bücher den Eindruck, dass die Worte ganz von selbst aufs Papier fanden. Seite um Seite, aber nicht trübe chronologisch, sondern in eigenwilligen Mäandern und grundiert vom Heimweh nach Böhmen, woher er mit Mutter und Schwester kam, erzählt er da, wie er als Flüchtlingskind im hessischen Dorf Staufenberg aufwuchs, bis es ihn, halbwegs erwachsen, über Gießen und Frankfurt in die Welt trieb und kreuz und quer durch Europa, ohne Geld, trampend, von Kneipe zu Kneipe, immer ins Ungewisse. „Das alte Jahrhundert“ heißt der Romanzyklus, an dem er seit Jahren schreibt und dessen fünfter Teil, „Vorabend“, ein fast tausendseitiges Wunderbuch, es dann endlich auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2011 schaffte. Und hätte tatsächlich der beste Roman gewonnen statt des am besten verkäuflichen, hätte es nicht nur die Shortlist erreichen, sondern den Preis erhalten müssen. Auf zahllosen Veranstaltungen las Kurzeck daraus vor, so hinreißend wie er schreibt, reine Musik, Wohlklang fürs Ohr, komisch und traurig und präzise.

Bleibt da noch etwas übrig für Bilder?

Hat man nicht alles gelesen und sich vorgestellt, können die alten und neuen Schwarz-Weiß-Fotos noch etwas hinzufügen? Um es gleich zu sagen: Überraschungen im Sinne von „neu“ oder „ungeahnt“ sind nicht dabei, glücklicherweise. Man blättert sich durch ein fremdes und doch vertrautes Leben, die Bilder zeigen die Orte von Tachau bis Uzès, die Lebensumstände, den Autor und die, die ihn begleiteten. Die Überraschung besteht vor allem darin, dass diese Fotos überhaupt gemacht wurden und sich erhalten haben über Jahrzehnte, obwohl Kurzeck kein Leben führte, zu dem Foto-Alben und gemächliches Hüten und Pflegen von Memorabilien gepasst hätten. Er hauste in Dach- und Abstellkammern, besaß nichts, trieb umher.

Aber jetzt können wir sehen, wie wunderbar schön seine bald verlorene Sibylle war, die durch die Romane geistert als immer noch gegenwärtige Einzige, trotz der Frauen, die folgten. Dann die Tochter Carina, auch von ihr haben wir vielfach gelesen und miterlebt, wie sie aufwuchs. Dass Fotos „dazu“ existieren, die den Vater mit dem Baby und dem größer werdenden Mädchen zeigen, und zwar genau so, wie wir es uns vorstellten, die aber aufgenommen wurden, bevor er die Vaterfigur ins Wort brachte, ist so erstaunlich wie anrührend. Und wie tröstlich zeigt sich der spät einsetzende, langsam wachsende Erfolg in Kurzecks Kleidung! Da hat er dann endlich einen feinen, warmen Mantel an und ein seidenes Tuch um den Hals, manchmal sogar einen Hut auf dem Kopf. Das wirkt niemals befremdlich, sondern passt und verrät Sinn für den eigenen Körper, für Stil und selbstbewusste Freude.

Unter die Bilder sind kurze Textausschnitte eingerückt, die selbst dem, der nie eine Zeile von ihm las, den unverkennbaren Kurzeck-Ton nahe bringen. Der letzte Eintrag lautet: „Haufen Volks und ein jeder unentwegt in sein Dasein vertieft und hineinverstrickt, ein jeder mit seiner Geschichte. Marktkneipen gibt es und Höfe und Winkel, da gehst du wie in ein altes Bild hinein. Warum nicht neue Schuhe, wenn ich schon einmal überzähliges Geld hatte. Und mit den neuen Schuhen dann sehen, wie es weitergeht in meinem jederzeitigen Leben, ja oder nein? Bin ich denn nicht seit wenigstens dreitausend Jahren unterwegs in dieser oder jener Gestalt und die meiste Zeit auf der Flucht und kein gutes Schuhwerk um übers Gebirg zu gehen – und was jetzt? Kannst nicht bleiben, nicht gehen, nicht bleiben!“

Aber schreiben gewiss.

Gisela Trahms

Peter Kurzeck: Der radikale Biograph. Herausgegeben von Erika Schmied. Mit Fotos von Erika Schmied und Ute Schendel. Stroemfeld Verlag 2013. 179 Seiten. 38,00 Euro. Weitere CM-Rezensionen zu Kurzeck finden Sie hier, hier und hier, ein Gespräch mit dem Autor hier.

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