Geschrieben am 1. Oktober 2011 von für Bücher, Crimemag

Peter Münder befragt Sebastian Knauer zu Uwe Barschel

Tot in Genf: True Crime oder gut inszenierter Selbstmord?

Als der damalige STERN-Reporter Sebastian Knauer am 11. Oktober 1987 den toten Ex-Ministerpräsidenten Uwe Barschel in der  Badewanne des Genfer Hotels Beau Rivage entdeckte, hatte er das Gefühl, in einem schlechten Krimi gelandet zu sein. Er konnte auch nicht ahnen, dass die Barschel-Affäre über mehr als zwei Jahrzehnte  lang Polizeibehörden, Juristen und Geheimdienst-Experten beschäftigen und dennoch keinen eindeutigen Beweis für einen Suizid oder Mord liefern würde. Der ehemalige Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, jahrelang Chefermittler im Fall Barschel, präsentiert nun rückblickend eine Chronik der Ereignisse – auch der internen Verschleppung, Behinderung und eingeleiteter Disziplinarverfahren. Sein Buch hatte er bereits 2007 geschrieben, durfte es aber erst jetzt, nach seiner Pensionierung, veröffentlichen. Er ist davon überzeugt, dass Uwe Barschel ermordet wurde – doch welche Beweise kann er vorlegen?

Sebastian Knauer (©Frank Schumann/ DER SPIEGEL)

Sebastian Knauer (©Frank Schumann/ DER SPIEGEL)

Der ominöse zweite Hemdknopf und der mysteriöse dritte Mann

CrimeMag-Autor Peter Münder befragte dazu Sebastian Knauer, der den toten Barschel damals in Genf entdeckte und 2009 den Materialienband „Barschel-Die Akte“ veröffentlichte „Ein Mord, der keiner sein durfte“: Ein schöner Titel, den Heinrich Wille mit Bezug auf den Buchtitel des CDU-Abgeordneten und ehemaligen Tango-Journalisten Werner Kalinka („Der Tod, der kein Mord sein darf“, 1993) wählte und überzeugte Verschwörungstheoretiker – darunter auch Ex-SPIEGEL-Chefredakteur Stefan Aust, der ein sehr wohlwollendes Vorwort zu Willes Buch verfaßte – entzücken dürfte. Heinrich Wille ist nämlich immer noch davon überzeugt, dass Uwe Barschel in seinem Genfer Hotelzimmer N° 317 um den 10. Oktober 1987 herum ermordet wurde, obwohl die bis zum Juni 1998 geführten Ermittlungen ohne eindeutige Ergebnisse blieben und die Indizien weder auf einen Selbstmord noch auf einen Mord hinwiesen.

 

Sterben mit Sartre?

Für Literaten und Existentialisten erfreulich ist jedenfalls der Ernst, mit dem Wille auch erörtert, ob Barschels Sartre-Lektüre vielleicht zu einer depressiven Suizid-Stimmung beigetragen haben könnte: Schließlich fand man ja einen Band mit Sartres Erzählungen in Barschels Hotelzimmer, aufgeschlagen auf dessen Bett. Willes Erkenntnis lautet jedoch: Die französischen Widerstandskämpfer hätten auch begeistert Sartre gelesen und wären nach der Lektüre noch militanter und kämpferischer und keineswegs depressiv gewesen. Unter Willes Leitung wurde auch intensiv im Dunstkreis diverser Geheimdienste eruiert, um Barschels angebliche Vermittlungsaktivitäten bei Rüstungsgeschäften (U-Boote für das Apartheid-Südafrika, Waffen für den Iran im Kontext der Iran-Contra-Affäre) aufzuklären. Offenbar war Barschel auch an

Heinrich Wille (Quelle: ZDF)

LKW-Lieferungen nach Libyen beteiligt gewesen, und die zahlreichen DDR-Reisen des ehemaligen Ministerpräsidenten waren ebenfalls suspekt. Daher gerieten nicht weniger als zwölf Geheimdienste ins Visier der Ermittler – darunter die üblichen „Companies“ CIA, KGB  und Mossad über die Stasi bis zum MI6 und BND. Aber hatten die wirklich ein Interesse daran, Barschel zu liquidieren, weil der vielleicht damit gedroht hatte, die Öffentlichkeit über diese dubiosen Geschäfte zu informieren? War Barschel überhaupt an diesen Waffen-Deals beteiligt gewesen? Im Abschlussbericht der Lübecker Staatsanwaltschaft hatte Wille zwar auf das „Vorliegen einer sekundären Trittspur“ auf dem Badvorleger hingewiesen, was für „die Anwesenheit einer weiteren Person“ spreche, dennoch lautete sein offizielles Verdikt: „Eine abschließende Interpretation, ob etwa ein Tatverdächtiger oder ein Sterbehelfer zugegen war, ist nicht möglich.“ Er favorisiert jedoch die Mordthese: Barschel wollte angeblich unbequeme Wahrheiten ausplaudern und sei mit einem tödlichen Medikamenten-Cocktail umgebracht worden.

Ominöser Hemdknopf

An einen „Bilanz-Suizid“ wegen seiner Verstrickungen in den vom dubiosen Journalisten und dem „Mann fürs Grobe“ Rainer Pfeiffer eingefädelten „Waterkantgate“-Abhörskandal, seinem fragwürdigen „Ehrenwort“ und der falschen Anschuldigungen gegen den  SPD-Rivalen Björn Engholm (der sollte schwul und aidskrank sein) glaubt Heinrich Wille nicht: Ein im Hotelzimmer gefundener ominöser abgerissener Hemdknopf ist für Wille ein eindeutiges Indiz für Fremdeinwirkung: Denn diesen zweiten Knopf von oben hätte sich der Krawattenträger Barschel, so urteilte Wille jedenfalls in seinem Abschlussbericht und jetzt auch wieder im ZDF-Aspekte Interview, niemals allein abreißen können – warum eigentlich nicht? Da Wille in seinem Buch ziemlich unvermittelt seine persönlichen Befindlichkeiten und Probleme, seine Karrierre als SPD-Politiker, die Kontroversen mit Vorgesetzten und seinen Umgang mit den Medien vermischt mit amtlichen Ermittlungspraktiken und gewonnenen neuen Erkenntnissen, ergibt sich  häufig der Eindruck, er rede oder schreibe  sich „um Knopf und Kragen“.

Umriss-Matte Spurenauswertung Staats. Lübeck

Umriss-Matte Spurenauswertung Staats. Lübeck

Im Buch beschreibt SPD-Mann Wille auch seine Begegnungen mit Rechtsaußen Barschel, den er schon während seiner Aktivitäten im Arbeitskreis Sozialdemokratischer Juristen bei diversen Diskussionen und Treffen kennengelernt hatte – da erschien ihm der ehrgeizige Christdemokrat fast wie eine Reinkarnation von Dschingis Khan. Trotzdem wollte er dann viele Jahre später als Ermittler im Fall Barschel unvoreingenommen an die Klärung der Todesursache gehen. Hält er einen Selbstmord des ehrgeizigen Barschel, der ja Ambitionen auf das Kanzleramt hatte, für abwegig, weil er ihm kein Ehrgefühl und kein Gewissen zubilligt, nachdem der die Öffentlichkeit systematisch hinters Licht geführt hatte? Einen Abschiedsbrief hatte Barschel ja nicht hinterlassen, aber konnte dies nicht ganz profane, materielle Gründe haben? Eine Lebensversicherungsprämie für die Angehörigen wird ja nur ausgezahlt, wenn ein Mord nachgewiesen ist – bei Selbstmord zahlt die Versicherung nicht. Vielleicht hatte Uwe Barschel den Suizid als Mordfall inszeniert, weil er für seine Familie nach seinem Ableben wenigstens die Versicherungsprämie hinterlassen wollte? Auf diese Aspekte geht Wille aber nicht ein.

 

Die Wanne

Sebastian Knauer hatte damals im Genfer Hotel zuerst nur Uwe Barschels  Notizen, dann auch den in der Badewanne liegenden Leichnam fotografiert. Der Fall beschäftigt ihn immer noch, weil es etliche ungeklärte Fragen gibt und er die Erfahrung machte, dass man zuerst in Genf und dann in Lübeck während Willes Ermittler-Tätigkeit vielen Spuren viel zu spät oder gar nicht nachging. Er zitiert daher auch gern das etwas hämische Bonmot „Wo ein Wille, da kein Weg“.

CrimeMag:  Du wolltest damals ja nach Barschels  kurz zuvor verkündetem Rücktritt ein Interview mit ihm in Genf  führen. Einen Termin hattest Du noch nicht vereinbart, weil ihr nur den vagen Hinweis hattet, er würde in Genf einen Informanten treffen. Was war Dein erster Eindruck, als Du damals in Zimmer 317  des Hotels Beau Rivage den toten Uwe Barschel in der Badewanne entdecktest?

 

 

 

 

Sebastian Knauer: Ich wusste einfach nicht, was ich von dem gruseligen Szenario halten sollte. War es überhaupt Barschel, der da in der Wanne lag? Schlief er oder war er alkoholisiert? Ich spürte nur: Hier war etwas Grauenhaftes passiert. Dann wollte ich mich absichern, weil ich befürchtete, in dieser halblegalen Situation – ich hatte ja ein unverschlossenes Zimmer betreten – in einen undurchsichtigen Kriminalfall verwickelt zu werden. Vorher hatte ich schon von meinem außerhalb des Zimmers wartenden Kollegen  Hanns-Jörg Anders, STERN-Fotograf, die Notizen auf dem Nachttisch des leeren Schlafzimmers ablichten lassen, jetzt machte ich noch Aufnahmen vom Mann in der Badewanne. Ich wollte einfach nur Zeitdokumente als Beweisstücke sichern. Aber irgendwelche Theorien oder Annahmen zum Tathergang konnte ich nicht entwickeln – das war in der damaligen Situation noch nicht möglich. Erst mal musste ich ja als Journalist eindeutige Fakten sammeln, dann kann ich die Lage auch bewerten. Das war aber damals nicht gegeben. Ich fand es übrigens auch nach Veröffentlichung der STERN-Story über Barschels Tod im Genfer Hotel grotesk, dass wir damals, als es 1987 in der Bundesrepublik 61 Millionen Einwohner gab, gleichzeitig auch 61 Millionen Hauptkommissare hatten: Jeder braute sich seine eigene These über Barschels Tod zusammen. Es war dann je nach individuellem Vorverständnis Mord oder Selbstmord, ein als Suizid inszenierter Selbstmord oder auch ein Fall von Sterbehilfe. Und dann waren auch noch die Geheimdienste und sogar die Camorra in der Diskussion, die den Ministerpräsidenten a.D. umgebracht haben sollten. Das Kapitel behandelt Wille ja ausführlich.

Da Wille damals ja in alle Richtungen ermittelte und selbst die Iran-Contra-Affäre für relevant hielt, weil der US-Drahtzieher Oliver North von einem obskuren Zeugen angeblich im Hamburger Hotel Atlantic gesehen worden sein soll und sich dann auch der iranische Ex-Präsident Bani-Sadr mit vermeintlichen neuen Erkenntnissen zu Wort meldete: Ist das nicht ein Indiz für seine akribische juristische Recherche?

 

Schuhe des Stern-Reporters c) privat

Überhaupt nicht, meiner Ansicht nach hat Wille zu oft den Blick auf das große skandalöse Weltgeschehen gerichtet, das irgendwie auch in dieses provinzielle Kieler Panorama passen könnte. Aber wieso sollen Oliver North oder der ehemalige iranische Staatspräsident Bani-Sadr für Barschels Tod in Genf verantwortlich gewesen sein? Viel Zeit und Arbeitsaufwand wurden auf die Suche nach obskuren Fotos mit Oliver North verschwendet, man verfolgte auch widersprüchliche Hinweise aus dem BND-Umfeld, aber viele wichtige Fragen wurden gar nicht gestellt. Der Badvorleger wies Verschmutzungen und Fußabdrücke auf, über die auch Heinrich Wille immer noch spekuliert, weil die vom potentiellen Mörder stammen könnten – doch niemand hat mich je gefragt, ob die Abdrücke vielleicht von meinen Schuhen stammen. Ich habe meine alten Schuhe, die ich am 11. Oktober 1987 möglicherweise trug, vor bereits vier Jahren gefunden und an den damaligen Generalstaatsanwalt Rex zur Abklärung von Spuren geschickt. Als ich dann ein Jahr später und wieder nach vier Jahren nachfragte, erhielt ich die Auskunft, ich sollte mich noch gedulden, bisher hätte man sich noch nicht kümmern können. Die Suche nach dem mysteriösen dritten Mann, der auf einem Foto damals neben Barschel auf dem Genfer Flughafen abgelichtet wurde, verlief ja völlig im Sande, obwohl wir herausfanden, dass es sich trotz einer verblüffenden Ähnlichkeit nicht um den damaligen hohen Bonner Ministerialbeamten Rohloff gehandelt haben kann, dessen Sohn ähnlich wie Pfeiffer im Bremer Fälschermilieu unterwegs war.

Spekulationen über Barschels Beteiligung an geheimen Waffengeschäften sind ja nicht ganz abwegig, schließlich war er doch in die Interna der Kieler  HDW-Werft eingeweiht, die U-Boote baute und Blaupausen nach Südafrika lieferte.

Ja sicher, schon qua Amt als Ministerpräsident war er im Aufsichtsrat und kannte sicher viele Interna. Nur ist es so, dass die Werft für die Abwicklung ihrer Geschäfte nicht auf Herrn Barschel angewiesen war. Ich habe darüber ausführlich mit dem ehemaligen HDW-Vorstand Herrn Klaus Ahlers gesprochen, der sehr offen über diese Südafrika-Geschäfte sprach. Man hatte bei der HDW nämlich schon die Post-Apartheid-Zeit anvisiert und betrachtete den Blaupausen-Deal für U-Boote sozusagen als Türöffner für spätere Geschäfte. Jedenfalls liefen diese Transaktionen, die damals per Transport im Diplomatenkoffer abgewickelt wurden, alle an Barschel vorbei. Dafür gab es damals nämlich die Strauss-Stoltenberg-Kohl-Connection: Dieses Trio war eingeweiht und hatte diese Geschäfte abgesegnet. Uwe Barschel also als intransigenten Waffenhändler zu dämonisieren, der über alle möglichen streng geheimen Waffen-Deals aus dem Nähkästchen plaudern könnte und deswegen liquidiert wurde, halte ich für abwegig.

Und was ist heute nach den abgeschlossenen 24-jährigen Ermittlungen im Todesfall Barschel Deine Ansicht?

 

Sebastian Knauer

Hundertprozentig sicher kann man sich ja immer noch nicht sein, aber ich glaube doch, dass es sich um einen Suizid handelt – Barschel war immer extrem ehrgeizig gewesen, er strebte das Kanzleramt an und hatte große Probleme, sich nach seinem umstrittenen Ehrenwort all den Widersprüchen und Lügen der „Waterkantgate“-Affäre zu stellen. In Genf wollte er ja den Informanten Rohloff treffen, der ihn mit bis dahin unbekannten Details entlasten sollte – doch das ist wohl schiefgelaufen und in seiner aussichtslosen Lage sah er wohl keine andere Lösung mehr als diesen tragischen Selbstmord in der Badewanne. Die Ermittler, vor allem auch Heinrich Wille, waren aber nicht in der Lage, Hintergrundinformationen über Herrn Rohloff und dessen Absichten abzuklären. Dr.Dr. Barschel hätte  jedenfalls einen weniger provinziellen und besseren Ermittler verdient, Wille schadet mit seinen halbgaren Theorien letztendlich auch der Aufklärung des tragischen Falles Barschel. Auch die Familie Barschel leidet unter der Hängepartie des Lübecker Ermittlers. Barschels jüngster Sohn Christian Albrecht, selbst Sportjournalist und Veranstaltungsmanager, erklärte mir selbst, er könne mit jeder Wahrheit über meinen Vater leben – nur muss diese Wahrheit auch ermittelt werden.

Das Fazit, das Erhard Eppler in seinem Vorwort zu meinem Band „Barschel-Die Akte“ zieht, ist jedenfalls nachvollziehbar und für mich überzeugend: Er schreibt da: „Ich habe nie daran gezweifelt, dass Barschel sich selbst umgebracht hat. Die Akten, aber auch die Logik dieses Doppellebens sprechen dafür. Wenn bekannt wurde, was nie hätte bekannt werden sollen, war der Absturz zu tief. Wie soll, wer so von Macht und Geltung lebt, als Verfemter weiterleben?“

Peter Münder

Heinrich Wille: Ein Mord, der keiner sein durfte. Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates (Mit einem Vorwort von Stefan Aust). Rotpunktverlag Zürich 2011. 382 Seiten. 24,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Sebastian Knauer (Hrsg.): Barschel-Die Akte. Originaldokumente eines ungelösten Kriminalfalls (Mit einem Vorwort von Erhard Eppler). B&S Siebenhaar Verlag 2009. 471 Seiten. 24,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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