Geschrieben am 4. Februar 2009 von für Bücher, Crimemag

Peter Schmidt: Die Regeln der Gewalt

Konfuse Kobra

Peter Schmidts Roman über eine deutsche Terrroristengruppe erschien zuerst 1984. Diese spannende, kritische Auseinandersetzung mit den RAF-Aktivitäten gibt es nun als Neuausgabe in der Reihe „Kriminelle Sittengeschichte Deutschlands“. Peter Münder hat den Roman auf seine Haltbarkeit überprüft.

Die Aufarbeitung des RAF-Terrors in Filmen, historischen Analysen und Studien hat Hochkonjunktur. Neben Stefan Austs enormem output ist vor allem Carolin Emckes profunder Band Stumme Gewalt – Nachdenken über die Gewalt zu erwähnen, dazu kommt jetzt die Neuausgabe von Peter Schmidts vor 25 Jahren erschienenem Roman Die Regeln der Gewalt.

Skeptikern, die einen RAF- Overkill befürchten, sei gleich gesagt: Diese Neuausgabe ist vielleicht die anschaulichste, einfühlsamste und gleichzeitig kritischste Auseinandersetzung mit den Aktivitäten, Planspielen und Denkmodellen der Terroristen, die glaubten, den „latenten Terror“ staatlicher BRD-Instanzen mit der Ermordung und Entführung exponierter Mandatsträger oder bekannter Wirtschaftskapitäne entlarven und den Staatsapparat liquidieren zu können.

Paranoia & Wahnwitz

Schmidt, jetzt 64 und Autor von insgesamt 34 Polit-, Agenten-und Psycho-Thrillern, hatte sich schon in seinem ersten Roman mit innerdeutschen Turbulenzen beschäftigt: In Mehnerts Fall sollte ein in die BRD eingeschleuster DDR-Spion den SPD-Fraktionsvorsitzenden bespitzeln und so unter Kontrolle bringen, dass er praktisch ferngesteuert agierte – Ähnlichkeiten zum Fall des Kanzlervertrauten Guillaume sind unübersehbar. In Die Regeln der Gewalt zeigt Schmidt das Quintett der Gruppe „Kobra“, das sich mit hektisch inszenierten Aktivitäten und den eigenen Beziehungs- und Psychoproblemen in eine immer ausweglosere Lage bringt. Die energische „Kobra“- Chefin Angelika Zeitler will sich gegen interne Zweifler und Kritiker durchsetzen, zwei neue Mitstreiter wollen in den engeren Kreis aufgenommen werden, doch wem kann man trauen, wer ist Spitzel? Welche Interessen haben DDR-Behörden an einer Destabilisierung der BRD durch den Kobra-Terror? Um einen Spezialisten für das Ausschalten des zentralen BKA-Computers bezahlen zu können, wird eine Bank überfallen, dann entführt die Kobra-Gruppe Bundestags-Abgeordnete, um das Parlament lahmzulegen. Doch ihre Pläne, die so bestechend und plausibel schienen, erweisen sich als unrealistische Wunschträume. Schmidt versteht es, dieses komplexe Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte ohne reißerische Effekthascherei darzustellen. Die inneren Monologe der Figuren beschreiben mit bedrückender Eindringlichkeit, wie sich die Strategie des Terrors verselbständigt und auch aberwitzigste Aktivitäten gerechtfertigt werden.

„Von einem gewissen Zeitpunkt an fühlt man sich nur noch als Chirurg, der ein Geschwür aufschneidet“, heißt es an einer Stelle. Die damalige Sympathisantenszene, die bedrückende Paranoia der Terroristen, die mit brutalen Gewaltexzessen sediert wird – all das zeigt Schmidt in seinem spannenden Roman als ausweglosen Entwicklungsprozess konfuser Aktionisten, ohne dabei auf simple küchenpsychologische Erklärungsmuster zurückzugreifen.

Peter Münder

Peter Schmidt: Die Regeln der Gewalt – Kriminelle Sittengeschichte Deutschlands Bd. 8. Roman. Köln: Edition Köln 1984. Neuauflage 2008. 274 Seiten. 12,80 Euro.