Geschrieben am 14. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Philippe Djian: Sirenen

Ein Mann, drei Frauen und die Welt in Flammen

Philippe Djian begibt sich mit seinem zwölften Roman auf die Demonstrationsschlachtfelder der Globalisierungsgegner und zieht sich damit einen Schuh an, der ihm nicht passt.

Von seinem ersten Roman Blau wie die Hölle über die atemberaubende Liebesgeschichte zwischen einem Gelegenheitsschriftsteller und einem besessen-temperamentvollen Mädchen, die ihm zum Durchbruch verhalf (Betty Blue, 37,2 Grad am Morgen), bis zum Porträt eines verwitweten Schriftstellers (Schwarze Tage, weiße Nächte) war der viel gelesene Franzose Philippe Djian alles andere als ein politischer Schriftsteller. Klar, hinter der Rebellion der jungen Draufgänger seiner frühen Werke und im Versuch der älteren Helden, trotz Familie und Beruf unangepasst zu bleiben, konnte man eine politische Geste entdecken. Eigentliches Thema blieb aber immer die Bewältigung des Alltags mit all seinen Unwägbarkeiten. Mit seinem zwölften Roman betritt Djian nun unbekanntes Terrain: die Demonstrationsschlachtfelder der Globalisierungsgegner.

Liebe und Gewalt

Dabei nähert er sich dem Thema auf die für ihn übliche Weise: über die Figuren und ihre Beziehungen. Protagonist Nathan steht als Polizist auf der Seite des Gesetzes, als Freund seiner Ex-Frau, der überzeugten Globalisierungsgegnerin Chris, auf der Seite der Demonstranten. Und er wandelt als Ermittler eines Mordfalls auf dem schmalen Grat zwischen allen Fronten, weil er gegen die strikten Weisungen des Polizeichefs den Sportbekleidungsmogul Brennen verdächtigt, die Ermordung seiner Tochter angeordnet zu haben. Für die erstarkende Antiglobalisierungsbewegung ist eben jene ermordete Jennifer Brennen, die mit unzähligen provokanten Aktionen den Ruf des väterlichen Konzerns ruinieren wollte, zu einer Märtyrerin und ihr Vater zum Inbegriff der Ausbeutung geworden. Für Politiker und Polizeichefs ist der Vater wiederum der wichtigste Bürger der Stadt.
Doch wie soll Nathan der dringenden Aufklärung des verzwickten Falles nachkommen, wo auch sein Privatleben aus den Fugen gerät? Seine noch immer von ihm begehrte Ex-Frau stürzt sich in eine gefährliche Beziehung mit einem deutschen Globalisierungsaktivisten, ein berühmtes Mannequin zieht bei ihm ein und versucht, ihn mit kostspieligen Geschenken zu ihrem Liebhaber zu machen, und mit seiner schwergewichtigen Kollegin Marie-Jo unterhält er eine wilde sexuelle Affäre.
Ein Mann, drei Frauen und die Welt in Flammen: Auf einer Großdemonstration in Paris, auf der Nathan desertiert, um seine Ex-Frau zu beschützen, knüppeln die Polizisten rücksichtslos auf die Demonstranten ein. Derart zwischen allen Fronten stehend versucht der vom Schicksal hin- und hergetriebene Nathan am Ende nur noch eins: eine Möglichkeiten zu finden, ein anständiger Mensch zu bleiben.

Erschreckender Fatalismus

In diesem Bemühen gleicht Nathan dem typischen Djian’schen Helden. Auch die figuralen Verstrickungen durchziehen alle Romane des 54-jährigen Franzosen. Erstaunlich untypisch sind allerdings das Übermaß an brutaler Energie und ein deprimierender Fatalismus, der den Roman durchzieht: Djian zeigt die Aussichtslosigkeit aller Bemühungen, der Welt etwas Positives abzugewinnen, zeigt die Schrecklichkeiten einer globalen Gesellschaft, ohne nach Gründen oder Auswegen zu suchen. Es bleibt unverständlich, wozu er dem Leser brutale Vergewaltigungsszenen zumutet, wozu er von Drogenproblemen bis zu Selbstmordversuchen all die Symptome zusammenträgt, an denen man den Krankheitsgrad der Welt ablesen kann, um über Globalisierungsfragen nur angelesene Allgemeinplätze einzuflechten. Man muss Djian wie bei seinem Vorgängerroman unterstellen, dass er in der Sparte Skandalroman erfolglos versucht, an Kollegen wie Houellebecq oder Beigbeder anzuknüpfen und sich zum Sprachrohr einer Generation zu schreiben, der er nicht angehört.

So ist Sirenen zwar ein spannender Kriminalroman, stilistisch konsequenter als der Vorgänger und fast so schnell und dicht wie die frühen Werke, doch mit den Themen Gewalt und Globalisierung zieht sich Djian ein Paar Schuhe an, das ihm nicht passt.

Markus Kuhn

Philippe Djian: Sirenen. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. Diogenes 2003. Gebunden. 441 Seiten. 22,90 Euro.