Geschrieben am 15. September 2016 von für Bücher, Crimemag, Primärtext

Primärtext: Sachbuch: David Talbot, „Das Schachbrett des Teufels“

9783864891496

Die rechte und die linke Hand des Teufels

Wenn Sie gedacht haben, die NSA sei schlimm – was zweifelsfrei stimmt -, dann beschäftigen Sie sich mal mit Allen Welsh Dulles (1893-1969), empfiehlt Alf Mayer, der das entsprechende Buch hier kurz rezensiert, bevor wir Ihnen einen Auszug aus dem Prolog zum Lesen geben.

Allen Dulles, der als Politiker nie gewählt wurde, hat die Politik des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt, das Dritte Reich mitfinanziert, die CIA aufgebaut und den Kalten Krieg gefährlich aufgeheizt, dabei den Kongress, seine Präsidenten sowie die gesamte Welt belogen und dann noch der Familie Bush und den Falken den Weg zur Macht geebnet. Trump wäre ein Mann ganz in seinem Sinne. Die – auch persönliche –Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit von Dulles, die kaum Schranken kannte, ist der Hinter- und Untergrund vieler heutiger Praktiken der US-Geheimdienste: die massenhafte Überwachung von US-Bürgern und ausländischen Verbündeten, außergesetzliche Auslieferungen und Eliminationen, Folter, politischer Mord, Experimente mit Gedankenkontrolle (an denen sich zum Beispiel die „Jason-Bourne“-Filme bis heute abarbeiten, siehe diese CrimeMag-Ausgabe). Von Allen Dulles führt eine direkte Verbindung zu Donald Rumsfeld, Dick Cheney und anderen Falken, die 9/11 zum Anlass nahmen, der Weltpolitik einen tiefgreifend destruktiven Dreh zu geben. Seitdem sind wir wieder im Alten Testament: Auge um Auge, keine Schonung und keine Gefangenen. Mittlerweile applaudieren wir innerlich dazu, wenn ein die Axt schwingender Jungterrorist gleich eine tödliche Kugel fängt.
„Das Schachbrett des Teufels“ von David Talbot, aus dessen Prolog wir hier einen längeren Auszug veröffentlichen, ist eines der wichtigsten Sachbücher unserer neuen Terrorjahre. Talbot, Gründer des Internetmagazins salon.com, ehemals Herausgeber von „Mother Jones“ und ein anerkannter Journalist, unternimmt hier eine beachtliche Bohrung in das, was Peter Dale Scott, ein bedeutsamer Erforscher der amerikanischen Macht, „Tiefenpolitik“ genannt hat. Wir sprechen auch vom „tiefen Staat“. In der Populärkultur wird vieles, was Allen Dulles im Verborgenen vorangebracht hat, bis hin zu Menschenexperimenten und Agentenkonditionierungen etwa in den „Jason Bourne“-Filmen durchdekliniert (siehe dazu auch in dieser Ausgabe).

Schon in Brothers: The Hidden History of the Kennedy Years“ war Talbot in den Irrgarten all der Theorien und Fakten über den Kennedy-Mord gestiegen, nun legt er nach. Sein „Schachbrett“ ist teils eine Biographie von Allen Dulles und teils eine Geschichte der CIA, wird dann zu einer ausführlichen Untersuchung des Attentats auf JFK in Dallas, gleichzeitig zu einem Porträt der-Machtelite der Nachkriegs-USA. In dieser Zeit entstand und wuchs dernational security state“, der seither die Demokratie überschattet. Und längst auch unsere. In einem Interview mit „Mother Jones“ sprach Talbot von Dynastiekämpfen „beinahe wie in ‚Game of Thrones‘“. Die eigene Frau und auch die Geliebte nannten Allen Dulles „Der Hai“, sein Lieblingswort war, ob jemand für ihn „nützlich“ war oder nicht. Er war der Typ, der jemanden, sogar jemanden, den er achtet, kaltblütig in den Tod schicken konnte

Talbot blättert den Lebens- und Machtweg dieses Mannes auf. Das führt auch nach Deutschland. Aus einer Diplomatenfamilie stammend, 1916 für die USA schon in der Wiener, dann der Berner Botschaft tätig, am Versailler Vertrag beteiligt, rühmte er sich, ein Treffen mit dem damals unbekannten russischen Exilpolitiker Wladimir Iljitsch Uljanow in der Schweiz zugunsten eines Tennismatches mit einer jungen Dame ausgeschlagen und so die Oktoberrevolution ermöglicht zu haben. Nun, es war auch so etwas wie eine lebenslange Arbeitsbeschaffung, die er damit betrieb. Dulles wurde ein glühender Antikommunist. Das galt weniger für Hitler, die Nazis oder die SS, die er im CIA-Vorläufer „Office of Strategic Services“ (OSS) teils bekämpfte, teils mit ihnen Abkommen über „Rattenlinien“ schloss und sich nach Kriegsende bei den Nazi-Wissenschaftlern bediente.

Die Industriekanzlei Sullivan & Cromwell, für die er und sein Bruder John Foster zwischen den Weltkriegen tätig waren, war auf Außenwirtschaft spezialisierte, bediente Eisenbahnbarone, Chemiekartelle, Rohstoffimporteure, die Zuckerindustrie, Rockefellers Standard Oil und ganze Regierungen. Verdient wurde auch am Wiederaufbau Deutschlands, am Erstarken der Nazis und ihrer Wirtschaftsimperien. Sullivan & Cromwell vertrieb entsprechende Anleihen („Heidelberg Bonds“)und lancierte PR-Kampagnen. Allen Dulles saß im Vorstand des Bankhauses Schroeder, das später die NSdAP finanzierte, John Foster Dulles war amerikanischer Generalrepräsentant der deutschen IG Farben, des damals größten Chemiekartells der Welt. (Alf Mayer)
Hier nun der Auszug aus David Talbots Prolog, S. 13 – 18:

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CIA-Ausweis von Allen W. Dulles (Foto: Wiki Commons)

„Das Schachbrett des Teufels“ – Auszug

Aus Sicht der Dulles-Bruder war die Demokratie ein Unternehmen, das sorgfältig von den richtigen Männern gesteuert werden musste, nicht etwas, das einfach gewählten Amtsträgern überlassen bleiben durfte, denen die Öffentlichkeit ihr Vertrauen geschenkt hatte. Seit ihren frühesten Tagen an der Wall Street – wo sie Sullivan & Cromwell führten, die mächtigste Wirtschaftskanzlei der Nation – fühlten sie sich stets an erster Stelle dem Kreis arrivierter, privilegierter Männer verpflichtet, den sie als wahren Hort der Macht in Amerika ansahen. Obwohl Foster und Allen selbst nicht aus einer jener reichen Familien stammten, die diesen elitären Klub beherrschten, sicherten sie sich durch ihre Gewieftheit, ihren missionarischen Eifer und ihre mächtigen Beziehungen einen festen Platz als Führungskräfte dieser exklusiven Welt.

Als jüngere Männer waren die Dulles-Bruder besessene Schachspieler. Wenn sie eine Partie miteinander spielten, verblasste alles um sie herum. Selbst während seines stürmischen Werbens um Martha Clover Todd, eine freigeistige Schönheit aus einer prominenten Familie, der er nach drei Tagen einen Heiratsantrag machte, lies sich Allen nicht von einem langen Schachturnier mit seinem Bruder abhalten. Die gleiche Strategiefixierung übertrugen die Dulles-Bruder später auf die Weltpolitik.

John Foster Dulles stieg zum politischen Chefberater Amerikas auf, ein Mann mit der Bestimmung, leise mit Königen, Premierministern und Despoten zu konferieren. Er sah sich selbst gern als Schachmeister der freien Welt. Sein jüngerer Bruder errang eine noch mächtigere Position: als fahrender Ritter, der den imperialen Willen Amerikas durchsetzte. Als Direktor der CIA sah sich Allen Dulles gern als Hand des Königs, jedoch als die linke, die sinistere Hand. Er war der Meister der finsteren Taten, nach denen Imperien verlangen.

Die Dulles-Bruder ließen sich von bloßen Präsidenten nicht einschüchtern. Als Präsident Franklin D. Roosevelt im Rahmen seiner umfassenden Wirtschafts- und Sozialreformen, des New Deal, Gesetze zur Zügelung der hemmungslosen Gier und Spekulation durchbrachte, die das Land in den wirtschaftlichen Ruin getrieben hatten, scharte John Foster Dulles seine Firmenkunden in den Büros seiner Wall-Street-Kanzlei um sich und ermunterte sie, sich dem Präsidenten schlicht zu widersetzen. ≫Fügen Sie sich nicht≪, riet er ihnen. ≫Sträuben Sie sich mit aller Kraft gegen das Gesetz, und bald kommt alles in Ordnung.≪

Später, als Bruder Allen Dulles während des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Kontinent als oberster Geheimdienstler der USA operierte, ignorierte er unverfroren Präsident Roosevelts Politik der bedingungslosen Kapitulation der Achsenmachte und verfolgte seine eigene Strategie von Geheimverhandlungen mit SS und deutscher Wehrmacht. Die gewaltigen Opfer, die das russische Volk im Krieg gegen Hitler brachte, bedeuteten Dulles wenig. Ihm war mehr daran gelegen, den Sicherheitsapparat des Dritten Reiches zu retten und ihn gegen die Sowjetunion zu wenden – die für ihn immer der wahre Feind Amerikas war. Nach dem Krieg verhalf Dulles einer Reihe berüchtigter Kriegsverbrecher zur Flucht auf der sogenannten Rattinlinie, auf der Nazis von Deutschland nach Italien und von dort weiter in Zufluchtsorte in Lateinamerika, im Nahen Osten und sogar in den Vereinigten Staaten flohen.

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Allen Dulles hintertrieb Franklin D. Roosevelts Politik und überlebte ihn. Er schockte dessen Nachfolger im Präsidentenamt, Harry S. Truman, der 1947 die Gründungsurkunde der CIA unterschrieb, indem er den Geheimdienst in einen Koloss des Kalten Kriegs verwandelte, der weit mächtiger und tödlicher war als alles, was sich Truman vorgestellt hatte. Eisenhower räumte Dulles enormen Freiraum ein, um den Schattenkrieg der US-Administration gegen den Kommunismus zu fuhren, kam aber am Ende seiner Amtszeit zu dem Schluss, dass Dulles ihm seinen Platz in der Geschichte als Friedensstifter geraubt und ihm nichts als ≫einen Scherbenhaufen≪ hinterlassen habe. Jeden Präsidenten, dem Dulles in hohen Ämtern diente, hinterging oder verriet er.

Dulles diente John F. Kennedy weniger als ein Jahr, aber diese kurze Kreuzung ihrer Lebenswege sollte ungeheure Folgen haben. Eindeutig im Hintertreffen gegenüber dem listigen Geheimdienstchef, von dem er sich in das Debakel der Schweinebucht locken lies, erwies sich Kennedy als gelehriger Schüler der Washingtoner Machtspiele. Er war der erste und einzige Präsident, der es wagte, Dulles seiner furchterregenden Macht zu entheben. Doch Dulles’ erzwungene Pensionierung dauerte nicht lange, nachdem Kennedy sich im November 1961 von ihm getrennt hatte. Statt sich gemächlich in den Ruhestand zu fügen, verhielt sich Dulles weiter so, als wäre er immer noch der Geheimdienstchef der USA, und es war der Mann, der seine glanzvolle Karriere beendet hatte, der Präsident selbst, den er jetzt ins Visier nahm. Das verborgene Ringen dieser beiden Ikonen der Macht ist nichts weniger als die Geschichte des Kampfes um die amerikanische Demokratie.

Auf dem Spaziergang durch Georgetown an jenem warmen Septemberabend des Jahres 1965 war Willie Morris verblüfft über den Zornesausbruch, den die bloße Erwähnung des Namens Kennedy bei Dulles ausgelost hatte. Beinahe zwei Jahre nach dem blutigen Ende des Präsidenten war die Macht, mit der Kennedy weiterhin die Vorstellungkraft der Öffentlichkeit gefangen nahm, ein Stachel in seinem Fleisch, und das hatte einen Grund. Er wusste, wer der wahre ≫Gott≪ war – es war nicht Jack Kennedy.

Nach ihrem Bummel kehrten die beiden Männer zu Drinks und Dinner in Dulles’ Haus zurück, um später mit der Arbeit an dem Artikel des Ex-CIA-Direktors fortzufahren, der den Titel ≫Meine Antwort auf die Schweinebucht≪ tragen sollte. Das Haus der Dulles’ war von trauriger Stille erfüllt: Dulles’ Frau Clover weilte im Sommerhäuschen der Familie am Ontariosee; ihr Sohn Allen jr., ein brillanter junger Mann, der im Koreakrieg eine schlimme Kopfverletzung erlitten hatte, verbrachte wieder einmal einen Aufenthalt in einem Sanatorium; ihre erwachsenen Tochter Joan und Toddie hatten ihre eigenen Sorgen und Nöte. Es gab nichts, was Morris und Dulles, abgesehen von der flüchtigen Anwesenheit von ein oder zwei Hausangestellten, hatte ablenken können. Morris erwies sich als guter Gesellschafter, ein Sohn Mississippis, der mithalten konnte, wenn der Bourbon floss und die Zunge löste. Und er war der höchstgepriesene junge Zeitungsmann seiner Generation, auf dem Weg, mit zweiunddreißig zum jüngsten Herausgeber des ehrwürdigen Harper’s-Magazin aufzusteigen. Unter seiner Führung glänzte Harper’s in den sechziger Jahren mit der pulsierenden Prosa von Autoren wie Norman Mailer, William Styron und David Halberstam.

Am Ende jedoch gelang es Dulles selbst mit Hilfe der geübten Hand des jungen Morris nicht, das Manuskript in eine publizierbare Form zu bringen, daher nahm der alte Geheimdienstler letzten Endes von der Idee einer Veröffentlichung Abstand. Als Dulles schließlich aufgab, nach monatelangen Mühen, hatte der Artikel zahlreiche Entwürfe durchlaufen und war mehrere hundert kaffeebefleckte Seiten lang. Die Rohfassungen, heute in Kisten in der Bibliothek von Princeton verstaut, wo das Dulles-Archiv lagert, sind ein Fenster in Allen Dulles’ gequälte Beziehung zu dem jungen Präsidenten. Als er schließlich das umfängliche Projekt aufgab, das ein Historiker einmal als ≫die ›Beichte‹ von Allen Dulles≪ bezeichnete, war der alte Oberagent offenbar zu dem Schluss gekommen, dass er darin zugleich zu viel und zu wenig darüber verriet, was er mit Kennedy durchgemacht hatte.

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Beim Schreiben des Artikels war Dulles zunächst bemüht, die Vorwurfe von Kennedy-Loyalisten wie Theodore Sorensen und Arthur Schlesinger jr. zurückzuweisen, Kennedy sei von seinen Geheimdienstberatern mit List und Tücke in das desaströse Kubaabenteuer gelockt worden. Doch dann offenbarte das Gekritzel des ehemaligen Geheimdienstchefs – inmitten wütender Ausbrüche über Kennedy und seinen Machtzirkel aus ≫ungläubigen Thomassen≪ und ≫Castro-Bewunderern≪ – in tausendfacher Weise doch, dass es Dulles’ CIA gelungen war, den jungen Präsidenten in die kubanische Sandfalle zu locken.

Als die Schweinebucht-Operation angelaufen war und ≫die Sache haarig wurde≪, schrieb Dulles, sei er zuversichtlich gewesen, dass Kennedy gezwungen sein würde, das Richtige zu tun und die furchteinflößende Macht des US-Militärs aufzubieten, um die Invasion doch noch zu einem glücklichen Ende zu bringen. So lief das Spiel der CIA: Man tischte dem Weißen Haus ein paar Schwindeleien auf, um die Ängste des Staatsoberhaupts und seines Stabs wachzukitzeln, schon war der Präsident wieder auf Linie. Aber dieses Mal blieb der Präsident trotz seiner Jugend und der kollektiven Einschüchterung durch seine grauhaarigen Sicherheitsberater standhaft. Kennedy verweigerte die Ausweitung einer Operation, die er die ganze Zeit für schäbig gehalten hatte. So kam die lange Regentschaft von CIA-Direktor Allen Dulles krachend zu Fall.

So zumindest wird Dulles’ Geschichte in Biografien und historischen Darstellungen der CIA erzählt. Die Wahrheit aber ist, dass Dulles’ Herrschaft, tief verhüllt, weiterging und zu einem noch katastrophaleren Ende strebte.

In den ersten Tagen und Wochen nach seiner Amtsenthebung brach für Dulles eine Welt zusammen. Plötzlich losgelost von der täglichen Routine der Macht, die er kannte, seit er als blutjunger Spion in die Dienste Woodrow Wilsons getreten war, machte Dulles den Eindruck ≫eines sehr tragischen Mannes≪, bemerkte ein CIA-Kollege. Die gichtgeplagten Füße in Pantoffeln eingesargt, schlurfte er durch sein Haus in Georgetown. Aber Dulles’ ≫tragische Phase≪ währte nicht lange. Er begann bald, sich mit einer erstaunlichen Zahl von CIA Mitarbeitern aller möglichen Ränge zu treffen, Männern aus der Führungsetage des Geheimdienstes ebenso wie Feldagenten. Sie gaben sich in seinem Haus in der Q-Street die Klinke in die Hand, steckten zwischen den Bücherregalen seines Arbeitszimmers die Köpfe mit ihm zusammen, führten an Sonnentagen auf der ummauerten Terrasse gedämpfte Gespräche mit ihm. Sein Kalender war angefüllt mit weiteren Verabredungen an seinen bevorzugten Washingtoner Rückzugsorten, dem Alibi Club und dem Metropolitan Club, wo er mit denselben Generälen und nationalen Sicherheitsberatern dinierte, mit denen er bei der CIA zusammengearbeitet hatte. Es war tatsächlich so, als hätte er den Geheimdienst nie verlassen.

Dulles verwandelte sein Haus in Georgetown in eine Anti-Kennedy-Regierung im Exil. Immer mehr wuchs im Dulles-Kreis die Enttäuschung über Kennedys Außenpolitik, die man als Appeasement, als Beschwichtigung des kommunistischen Feindes betrachtete. Dulles wurde in seiner Opposition kühner. Er traf sich mit einem umstrittenen kubanischen Exilpolitiker namens Paulino Sierra Martinez, einem ehemaligen Erfüllungsgehilfen des abgesetzten Diktators Fulgencio Batista Sierra, dessen Kampf gegen Castro von der Mafia und US-Unternehmen gesponsert wurde, geriet beim Secret Service, dem amerikanischen Inlandsgeheimdienst, später unter Verdacht, an einer Verschwörung gegen Präsident Kennedy beteiligt gewesen zu sein. Der Gegenstand von Sierras Treffen mit Dulles im April 1963 bleibt dunkel.

Im Oktober 1963 fühlte sich Dulles selbstsicher genug, um öffentlich gegen Kennedys Außenpolitik Stellung zu beziehen, ein Bruch der Washingtoner Etikette, wo es als schlechter Stil gilt, den Präsidenten zu kritisieren, dem man bis vor kurzem noch gedient hat. Dulles erklärte, die Kennedy-Präsidentschaft leide unter einer ≫Sehnsucht, von der Welt geliebt zu werden≪. Diese ≫Schwäche≪ sei nicht das Kennzeichen einer Weltmacht, monierte er. ≫Ich wurde es weit eher vorziehen, wenn uns die Leute respektierten, statt um ihre Liebe zu buhlen.≪

In den Wochen vor der Ermordung Präsident Kennedys am 22. November 1963 erhöhte sich die Frequenz der Treffen in Dulles’ Haus. Unter den Männern, die in der Q-Street ein- und ausgingen, waren mehrere, gegen die später vom House Select Committee on Assassinations und anderen Untersuchungsausschüssen des US-Kongresses wegen ihrer möglichen Verbindung zur Ermordung des Präsidenten ermittelt wurde. Und am Wochenende des Attentats hielt sich Dulles aus unerklärten Gründen in einer geheimen CIA-Einrichtung in Nordvirgina versteckt, die als ≫die Farm≪ bekannt war – ungeachtet der Tatsache, dass er zwei Jahre zuvor aus dem Geheimdienst entfernt worden war. Von solcher Art war der geschäftige Wirbel, der sich um den ≫pensionierten≪ Allen Dulles entspann.

Nach dem Mord an Kennedy drängte sich Dulles wieder ins Washingtoner Rampenlicht und nahm Einfluss auf Präsident Lyndon Johnson, damit dieser ihn in die Warren-Kommission berief. Dort schaltete sich Dulles mit solchem Nachdruck in die offizielle Untersuchung des Kennedy-Mordes ein, dass ein Beobachter bemerkte, sie wäre wohl besser ≫Dulles Kommission≪ genannt worden. Sorgsam wirkte er hinter den Kulissen mit ehemaligen CIA Kollegen zusammen, um die Untersuchung vom Geheimdienst weg und hin zum ≫einsamen Schützen≪ Lee Harvey Oswald zu lenken.

Wie kam es dazu, dass ein erbitterter politischer Feind Präsident Kennedys eine führende Rolle bei der offiziellen Untersuchung seines Todes übernahm? Das war nur ein weiteres Rätsel in einem Leben voller enigmatischer Drehungen und Wendungen. Ebenso rätselhaft ist, warum die amerikanische Presse sich nie die Mühe machte, diese faszinierende Frage zu ergründen.

Über ein halbes Jahrhundert später bleiben viele Fragen über John F. Kennedys gewaltsames Ende ≫unaussprechlich≪, wie es der Kennedy-Biograf James W. Douglass formuliert – zumindest in der sorgfältig kontrollierten Arena des medialen Diskurses. Es ist in diesen Kreisen sogar weniger denkbar, dem Verdacht nachzugehen, dass Allen Dulles selbst – ein überragender Pfeiler des amerikanischen Establishments – eine Rolle in dem ungeheuerlichen Verbrechen gegen die amerikanische Demokratie, das in Dallas geschah, gespielt haben könnte. Doch genau dies ist eines der vielen Tabus und einer der streng geheimen Bereiche von Dulles’ Leben, denen dieses Buch nachspürt.

(Mit freundlicher Genehmigung des Westend Verlags. Auszug: S. 13 – 18.)

David Talbot: Das Schachbrett des Teufels. Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung (The Devil’s Chessboard. Allen Dulles, the CIA, and the Rise of America’s Secret Government, 2015). Aus dem Amerikanischen von Andreas Simon dos Santos. Westend-Verlag, Frankfurt, 2016. 608 Seiten , 28,- Euro.

 

PS. (AM) In der Fiktion bearbeitet wurde Allen Dulles zum Beispiel 2002 in Robert Littells voluminösen Thriller „The Company. A Novel of the CIA“ (dtsch. Die Company – die weltumspannende, faszinierende Saga über die CIA; bei Scherz, 2002). Dulles selbst fungierte 1968 als Herausgeber der „Great True Spy Stories“ (dtsch. Der lautlose Krieg. Nymphenburger Verlagshandlung, 1968).
Robert de Niros Regiearbeit „Der gute Hirte“ (The Good Shepherd, 2006), der Titel ein Euphemismus, wenn ee nur einen gibt, basierte auf Robert Littells Roman und porträtierte einen fiktiven CIA-Chef namens Phillip Allen, klar an Dulles angelehnt. Verkörpert wurde er von William Hurt. 2007 wurde daraus eine TV-Miniserie.
Peter McRobbie spielt Dulles in Bridge of Spies (2015), einem revisionistischen historischen Spy-Thriller, der den Austausch des russischen Spions Rudolf Abel gegen den U-2-Piloten Francis Gary Powers zum Thema hat.

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