Geschrieben am 12. Juli 2008 von für Bücher, Crimemag

Rainer Gross: Weiße Nächte

Gottsucher am Nordkap

Mit Weiße Nächte legt Rainer Gross eine schwermütige Erzählung um eine Reise nach Skandinavien, um eine Sinnsuche und das Begleichen einer alten Schuld vor. Als Kriminalroman funktioniert das nur leidlich … findet Frank Rumpel.

Zu lachen gibt es nichts bei Rainer Gross. Der nimmt sein Thema ernst und das ist diesmal nichts Geringeres als eine Suche nach Gott und der Frage, wie einer mit Schuld umgeht, die er sich aus profaner Eifersucht aufgeladen hat. Gut für Theologiestudenten und Priesternovizen, die sich mal belletristisch vergnügen wollen, mag man denken und liegt damit nicht völlig daneben. Denn als Kriminalroman funktioniert das Ganze nur leidlich.
Wie schon in seinem mit dem Krimipreis „Glauser“ ausgezeichneten Debüt Grafeneck, geht es auch in Gross´ zweitem Roman um ein lang zurück liegendes Verbrechen, wenngleich dieses hier eher privater Natur ist:

Nach Norden …

Ein namenloser Theologiedozent reist mit einer Studentin ans Nordkap. Sie sind mit Motorrädern unterwegs, zelten, essen Tütensuppen und Wurst aus der Dose. Sie will ihren schwedischen Freund in Lulea besuchen, er eine alte Rechnung begleichen. Vor Jahren hatte er die Reise schon einmal gemacht mit seiner damaligen Freundin Vera und seinem Freund Jan. Das Ganze endete tragisch. Vera hatte sich noch während der Reise von ihm getrennt und war mit Jan weitergefahren. Bei einer späteren Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern kam Jan ums Leben. Vera brachte sich ein Jahr später nach einer Abtreibung um.

… und weiter nach Norden

Mit jedem Kilometer, den der Protagonist weiter nach Norden fährt, die Reise von damals nochmals macht, nähert er sich dieser Geschichte, frischt sie auf mit Erinnerungen, die an den jeweiligen Orten, den Übernachtungs- und Rastplätzen gelagert scheinen. Weil er nicht länger mit der Schuld leben kann, will er sich am damaligen Tatort mit einem Revolver das Leben nehmen.
Seine Gedanken und Beobachtungen notiert er in ein Tagebuch. Diese Aufzeichnungen bilden den Roman. Allerdings verstellt ihm die Vergangenheit den Blick auf die Gegenwart. Der Theologiedozent hat seinen Glauben verloren und braucht eine Reise bis ans Limit, um eventuell wieder einen Sinn im Hier und Jetzt ausmachen zu können.

… und endlich da …

Deshalb ist Weiße Nächte nicht nur die grüblerische und – das Thema bringt es mit sich – schwermütig geratene Beschreibung einer Reise mit einigermaßen absehbarem Verlauf. Gross’ Protagonist muss genau hinsehen, muss bis ins Kleinste betrachten, um nach und nach zu merken, dass er nichts sieht, ganz egal, wie hell die Sommernächte jenseits des Polarkreises sind. Ganz Alltägliches spielt da eine große Rolle: Tanken, Essen, Waschen, Schlafen, Tee trinken, eine Pfeife rauchen, dem Wetter oder den Mücken trotzen. Daneben stellt der Autor gekonnt verdichtete Momentaufnahmen und die verblassten Bilder von damals, die am Ort des Geschehens wieder an Schärfe gewinnen.

Obwohl der Erzähler einen nah an sich heran lässt, bleibt er wenig greifbar. Der 1962 geborene Gross hat das Gewicht auf die großen Fragen und Themen und weniger auf die Krimihandlung gelegt. Die ist von Anfang an ziemlich klar und reichlich dünn. Ob der Vorfall von damals Mord oder ein Unfall war, spielt letztlich keine Rolle. Geradlinig läuft die Reise auf den geplanten Freitod hin, und der Plot erschöpft sich in der Frage, ob er es schafft, sich aus dem Wust von Erinnerungen zu befreien und sich bis in die Gegenwart vorzuarbeiten. Oder ob er seinem Gewissen in der weiten Landschaft, in einer hellen Nacht, mit einer Kugel in den Kopf Ruhe verschafft.

Aus diesem Wechselspiel bezieht der Roman seine Spannung, die dennoch immer wieder zwischen Fjorden, Wäldern und Seen verplätschert. Alles in allem ein zwiespältiges Lesevergnügen, bei dem auf seine Kosten kommt, wer sich lesend ohnehin lieber ohne kriminellen Ballast bewegt.

Frank Rumpel

Rainer Gross: Weiße Nächte. Roman. Pendragon-Verlag 2008. 198 Seiten. 9,90 Euro.