Geschrieben am 14. März 2009 von für Bücher, Crimemag

Robert Hültner: Inspektor Kajetan kehrt zurück

Nazen und Sozen

Robert Hültners Kajetan-Geschichten, die im Bayern der 20er Jahre spielen, sind unter den historischen Kriminalromanen hierzulande eine Klasse für sich. Der Neue ist da keine Ausnahme. Genau recherchiert, wunderbar stimmig erzählt. Voll des Lobes ist Frank Rumpel.

„Drei Tote und ein Kübel Blut drüber, das ist mir zu wenig“, sagte Robert Hültner mal in einem Interview. Ihn interessieren die sozialen, die gesellschaftlichen, aber auch politischen Mechanismen hinter dem Verbrechen, die Frage, unter welchen Bedingungen Unrecht entsteht. Ein Paradebeispiel für diesen Ansatz sind seine jetzt fünf Romane um den ehemaligen Polizei-Inspektor Paul Kajetan, einem Sturkopf, der zudem mit einer Wahrheitsliebe ausgestattet ist, die in politisch turbulenten Zeiten, wie der Weimarer Republik, durchaus gefährlich werden kann.

Seinen ersten Einsatz hatte Kajetan in dem 1993 erschienen Roman Walching, der im Jahr 1922 spielt. Kajetan soll auf dem Land einen Mordfall aufklären, bei dem drei Vagabunden bereits als Verdächtige festgenommen sind. Doch die Zeugenaussagen widersprechen sich und am Ende deckt Kajetan eine politische Verschwörung auf. Das bringt ihm eine Versetzung aufs Land und später die Entlassung aus dem Polizeidienst ein. Er versucht, sich als Angestellter einer Filmkopierfirma und als Detektiv über Wasser zu halten. Zuletzt – in Inspektor Kajetan und die Betrüger – tauchte der gewesene Inspektor mit falschen Papieren unter. „Es war eine Art von Verbrechen aufgekommen, die ihm fremd war, mit der er nicht umgehen konnte, weil er außerstande war, sich in die Köpfe der Täter zu versetzen“. Das war 1924.

Der aktuelle Roman nun setzt vier Jahre später an. Kajetan kämpft ums nackte Überleben, ohne genau zu wissen, wer da hinter ihm her ist.
„Waren es die Nazen, die Jagd auf ihn machten? Arbeitete die Polizei mit ihnen zusammen? Aber wie kämen auf die Republik vereidigte Polizeibeamte dazu, mit Feinden des Staates gemeinsame Sache zu machen? Ein unglaublicher Skandal wäre das doch, hatte er Frau Süssmayr bestürmt. Worauf die alte Frau ihn nur ein wenig mitleidig gemustert, unmerklich den Kopf geschüttelt und geschwiegen hatte.“

Across the borderline …

Auch wenn Kajetan es nicht wahrhaben will, die Gefahr nicht einordnen kann, muss er aus München fliehen und versucht, sich mit falschem Pass über die grüne Grenze nach Österreich abzusetzen. Allerdings sucht er sich dafür den falschen Ort aus, denn in der Gegend wird nach einem Münchner Sozen (so wurden Sozialdemokraten und Sozialisten genannt) namens Lipp Kerschbaumer gefahndet, der einen Parteigenossen erschossen und sich dorthin abgesetzt haben soll. Als ein Wirt aus dem Dorf ermordet aufgefunden wird, ist man sich schnell einig, dass es nur dieser Kerschbaumer gewesen sein konnte. Die Ermittlungen übernehmen ein, Kajetan nicht unähnlicher Kriminaler namens Glaser und dessen ehrgeiziger, junger Kollege. Sie verhaften Kajetan und es dauert eine ganze Weile, bis sie merken, dass sie den Falschen erwischt haben. Als ihnen der richtige Kerschbaumer schließlich ins Netz geht, der aber kurz darauf tot in seiner Zelle liegt, wird der Inspektor misstrauisch. Er wittert eine Intrige und ermittelt, gegen den Befehl aus der Landeshauptstadt, auf eigene Faust weiter, ja zwingt sogar Kajetan, ihm dabei zur Hand zu gehen.

Die Nazis sind zwar noch nicht an der Macht, haben aber, gerade in München, bereits ein bestens funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Sie haben wichtige Stellen innerhalb der Polizei und der politischen Parteien mit Spitzeln besetzt, intrigieren und manipulieren. Das führt zu Spannungen, weiß doch keiner mehr so recht, wem er noch trauen kann und wem nicht, denn noch bekennt sich kaum einer offen zum Nationalsozialismus.

Auf der Alm …

Hültner taucht ein in die 20er Jahre, macht sie fassbar, erzählt eindringlich, bildreich und unterhaltsam und verortet seine Geschichte auch sprachlich durch eine lesbar gemachte Dialektvariante. Wer bei Dorf und Dialekt nun gleich an Folklore und Heimatroman denkt, liegt falsch. Das Dorf ist bei Hültner keineswegs das heile Gegenstück zum Stadtleben. Beides betrachtet er mit Skepsis. Als Kajetan sich wider Willen im Ort umhört und damit kurzfristig in seine alte Rolle als Inspektor gezwungen wird, sagt ihm der Schneider: „Wissens, in so einem Dorf ist es fast wie in einer Viehherden. Wenn du mittendrin bist, kannst dus ganz warm haben, und du kommst über den Winter. Wenn du dich aber nicht einpassen magst oder kannst, erfrierst.“

Hültners Figuren agieren glaubhaft. Hier wirkt nichts aufgesetzt oder konstruiert. Kein Wunder, etliches beruht auf realen Fällen. Dazu ist Hültner ein Erzähler, der sich Zeit nimmt für seinen Stoff, der in aller Ruhe die Fäden auslegt, um sie dann dramaturgisch, wie sprachlich präzise zu einer spannenden Geschichte zu verknüpfen. Man glaubt sie ihm gern. So oder so ähnlich könnte es durchaus gewesen sein.

Frank Rumpel

Robert Hültner: Inspektor Kajetan kehrt zurück. Roman. München: Btb 2009. 285 Seiten. 17,95 Euro.