Patina der Angst
Der Großmeister des Spionage-Thrillers und langjährige Nahost-Korrespondent Robert Littell entwirft ein Szenario der nahen Zukunft: Die Söhne Abrahams ist ein streng komponiertes, in levantinische Farben getauchtes Lehrstück über die tödliche Symmetrie des Fundamentalismus.
Eine präzise Analyse der Nahost-Politik, ein Close-up der schmutzigen Routinen von Entwürdigung und Folter, ein dialogischer Traktat über die Religionen des Wortes – Littell überlässt keinen Schritt auf diesem Terrain dem erzählerischen Zufall. Der Westen bangt um den Ölpreis und um die Stimmung der muslimischen Bevölkerung vor der eigenen Haustür, die US-Regierung erzwingt eine Waffenruhe zwischen Israel und Palästina, und nebenbei will die amerikanische Präsidentin als Friedensstifterin in die Geschichte eingehen. Der Termin für die Unterzeichnung eines Friedensvertrags ist festgesetzt, als die Entführung eines ultraorthodoxen Rabbis und das daran gebundene Ultimatum die Verhandlungen gefährden.
Die Big Shots der Weltpolitik bleiben schemenhaft, farblos, ihre Stimmen kommen aus dem Off. Ihr politisches Kalkül wird mit kühlem Blick von einem Harvard-Professor kommentiert, der als Nahost-Berater des Oval Office die Interna der Macht für die Nachwelt dokumentiert. Vor allem aber bleiben sie namenlos: die US-Präsidentin, der israelische Ministerpräsident, der Chef der palästinensischen Autonomie-Behörde. Und das ist mehr als nur ein eleganter Weg, eine zugleich mögliche und wahrscheinliche Zukunft zu entwerfen, sondern entspricht der Logik der Sache: Die eigentliche Geschichte muss nicht erst geschrieben werden, sie steht bereits geschrieben in den Schriften der monotheistischen Religionen. Drunter geht es nicht und ging es nie im Krieg um das Heilige Land.
Deshalb sind die Akteure der Echtzeit namenlos, und deshalb sind die Protagonisten adamitisch benannt: Namen sind nicht beliebig, sondern bezeichnen das Wesen des Benannten. Zufall, dass der Vorname des Harvard-Professors Zachary ist? Auf Hebräisch bedeutet er: Jahwe wird sich erinnern. Auf Arabisch: Die Erinnerung. Ganz sicher kein Zufall, sondern Programm sind die Namen der beiden Männer Gottes, die um jeden Preis die Unterzeichnung des Friedensvertrags verhindern wollen. Die Söhne Abrahams, Ismail und Isaac, treffen als Kidnapper und Geisel aufeinander. Der Kidnapper wird von manchen für den lang ersehnten Mudschaddid, den Erneuerer des Islam, gehalten, seine Geisel für den Maschiach, den lang ersehnten Messias. Beide sind sich in den letzten Prinzipien des Monotheismus einig – der besessenen Treue zum Wort Gottes und der Verachtung des Lebens in dieser Welt. Während die beiden mörderischen Gelehrten sich in den Feinheiten der Schriftauslegung ergehen, erledigen der Mossad und die palästinensischen Sicherheitsdienste gemeinsam die Drecksarbeit. Und die Erde des Heiligen Landes trinkt, wie seit Jahrtausenden, Blut. Das alttestamentarische ius talionism – Auge um Auge, Zahn um Zahn – bestimmt die Dynamik des Vicious Circle.
Von den Religionen der Klage, sagt Elias Canetti, ist das Antlitz der Erde gezeichnet. Und eine Patina der Klage über qualvolles und sinnloses Sterben macht diesen Roman dort lebendig, wo nicht die zwei bösen und so stupend gelehrten alten Männer das Wort haben. Die kreisen um sich selbst und erstarren im Prinzip der Symmetrie, und das ist leider überzeichnet und gleichzeitig zu seriös geraten, um grotesk zu sein. Trotzdem lohnt es sich, den exegetischen Lektionen zu folgen, um über die zeitlose und brandaktuelle Dialektik von Religion und Gewalt zu meditieren.
Nele Hoffmann
Robert Littell: Die Söhne Abrahams (Vicious Circle, 2006). Roman.
Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz 2008. 349 Seiten. 17,90 Euro.