Geschrieben am 15. August 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Come Closer, Sara Gran

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Puppet on a String

Von Katja Bohnet

Mehr Psychopharmaka

Ein Porzellanpuppenkopf in Scherben. Eindrückliches Cover-Sinnbild für Sara Grans neuen Roman. Amanda hat einen Sprung in der Schüssel. Ihr Leben spielt langsam aber sicher verrückt. Sie benimmt sich zuerst seltsam, dann wie ein echter Freak, der schließlich zur Psychopathin mutiert. Warum Psychothriller erbärmlich oder das Wunderbarste unter der Sonne sein können, ist schnell beantwortet: Das Spiel mit der menschlichen Wahrnehmung kann laffe schriftstellerische Ausrede für absurde Realitätskapriolen sein oder virtuos Verunsicherungen schaffen. Wer „Come Closer“ aufschlägt, wartete schon nach den ersten Seiten auf die Auflösung: Die Alte ist verrückt, sie sitzt im Irrenhaus. Im Koma, sie liegt im Koma, garantiert. Sie träumt. Es wurde ja schon so viel im Roman geträumt. Ich hab’s! Es geht gar nicht um sie, sondern um ihre schizoide Zwillingsschwester. … Problem zu vieler Psychothriller: Ihr Register ist begrenzt. All diese Paranoia, die heftigen Psychopharmaka. All diese Ängste, Traumata. Hatte man ja alles schon. Und es verkauft sich auch so gut.

„Dämonen in Geschichte und Gegenwart“

Nicht erst seit dem herausragenden, morbiden und ätherischen Werk „Stadt der Toten“ bedient Sara Gran das Bedürfnis von Verlagen, Lesern und Kritikern nach dem Buch im Buch. Auch in „Come Closer“ konsultiert Amanda, die Hauptfigur, ein Sachbuch „Dämonen in Geschichte und Gegenwart“. Die Überschrift illustriert Grans Vorliebe für Ironie. Nur schwer widersetzt man sich dem Drang, den Titel zu googlen, nur für den Fall, dass es ihn vielleicht wirklich gibt. Bei der im Ratgeber verzeichneten Dämonen-Checkliste kann Amanda jedes Mal deutlicher punkten. Als ihr das eigene Leben entgleitet, ist sie — mag Gran uns glauben lassen — nur noch Übergangsunterkunft für einen Dämon.

Amandas Dämon nennt sich Naamah, eine wunderschöne dunkelhaarige Frau mit spitzen Zähnen und scharfen Fingernägeln, die an einem blutroten Sandstrand ihr Dasein fristet.Sie existiert zunächst nur in Amandas Phantasie. Beim dritten Lesen des bizarren Namens Naamah hat man die Buchstaben durchgezählt, umsortiert und das Beinahe-Anagramm erkannt. Amanda, die „Liebreizende“ , die „Liebende“. Kein Wunder, dass der Name in der Literatur so gern und häufig verwendet wird. Und dass er beinahe sofortige Abwehrreaktionen auslösen muss. Gran spielt mit dem Klischee. Denn die beliebte, kluge, nette und erfolgreiche All-American-Girl-Amanda verwandelt sich in ein Tier. Zuerst hört sie seltsame Geräusche in ihrer Wohnung, danach sucht sie immer häufiger mit Freunden und Partner Streit, sie vernimmt Stimmen, hat Blackouts und Visionen, denkt und fühlt zunehmend gewalttätig. Das Grauen nähert sich langsam, aber es kommt garantiert.

sara gran1569479223Armer Ed!

Amanda hat gerade den netten Ed geheiratet, mit dem sie zusammenzieht. Loft, einsame Gegend, tolle Jobs, Partys in der Freizeit, jeder jung und gutaussehend. Alles scheint perfekt. Wie in „Der Pavian“ bedient sich auch diese treue, liebende Amanda irgendwann der Männer, wenn ihr danach ist. Aber in „Come Closer“ geschieht dies nur, weil die Hauptfigur nicht anders kann. Scheinbar willkürlich. Weil Naamah sie dazu zwingt, ihre persönliche Dämonin, die langsam ihren Körper und Geist übernimmt. Und der arme Ed muss Federn lassen. Wer seinen Freud gelesen hat, dem klingeln jetzt die Ohren. Das Über-Ich kann während der Handlung die Segel streichen. Das Es in Amanda tritt ins Rampenlicht, und hinterlässt — irrsinnig, traurig aber wahr — einen Leichenberg.

Die richtigen Medis

Sara Grans Romane sind mit einer Kaltschnäuzigkeit und Beiläufigkeit geschrieben, die oft überraschende Effekte zeitigen. Da wird aus einer häuslichen Harmonie-Szene auf einmal ein Gewaltszenario, das man ganz anders kennt. Gran spielt mit den Konventionen wie es ihr gefällt. Ihre Frauenfiguren sind starke, verrückte, ausufernde Individualistinnen. Das Ende des Romanes ist wie gewohnt eine Enttäuschungen im besten Sinn. Keiner bekommt das, was er will. Weder die Figuren, noch die Leser des Romans. Denn der Dämon, das sind wir selbst, wie Gran auf 190 Seiten kurz zusammenfasst. Wer Happy Ends liebt, der greife lieber zu der neuen Gala oder den ewig gestrigen Wahlversprechen der AfD. Was ist Realität, und was ist Phantasie? Gibt es einen doppelten Boden oder nicht? Dämonen: Quatsch! Oder doch nicht? Wem gehören wir? Und wie weit reicht die (Willens-)Freiheit, die wir seit Aristoteles, Hobbes und Kant unser Eigen glauben? Ein Psychothriller? Verlassen Sie sich lieber nicht darauf!

Wenn Sie mich das nächste Mal fragen, ob mir ein Buch gefallen hat, erinnern Sie mich bitte daran, dass ich Ihnen antworte, dass es darum gar nicht immer geht. Die schlechte Nachricht: Leben Sie damit! Die gute: Grans Romane werden mit Abstand zum Leseerlebnis immer besser. Sie müssen ruhen. Man legt diese Bücher beiseite mit einer gewissen Irritation, aber wie bittere Medizin wirken sie erst richtig nach der Einnahme.

Katja Bohnet

Sara Gran, Come Closer, Kriminalroman, Droemer, 2016, Originalausgabe 2003 bei Atlantic Books Ltd., 2005 bei Fischer als „Komm näher!“, Aus dem Amerikanischen: Christine Strüh, 192 Seiten, 9,99 Euro

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