Affenliebe
Die Skandinavier
Von Katja Bohnet
Na? Den nächsten Urlaub schon geplant? Sie sollten Schweden meiden. Von einer Städtereise nach Stockholm rate ich dringend ab! Schießereien en masse, Autos brennen. Verlassen Sie sich nur nicht auf die Polizei! Warum? Tja, die ist korrupt.
Ach, hören Sie lieber nicht auf mich! Gern verwechsele ich Fakten mit Fiktion. Es liegt wohl an der „Der Pavian“, der neuen Thriller-Attraktion aus Schweden, „einem sensationellen Debüt“, wie der Berlin Verlag wirbt. Wer glaubt nicht, dass die Skandinavier es in Sachen Kriminalroman drauf haben? Produzieren sie doch seit Mankell und dem Namensvetter der Autorin (Stieg) Larsson einen Nesser und Dahl nach dem anderen. Das deutsche Publikum liebt das nordisch Abgründige, das schon lange eine Marke ist. Aber wer immer nur auf eine Marke schwört, übersieht zu schnell, was andere noch leisten können.
Aller Anfang ist ein Fluch
Der Roman beginnt mit einem dreifachen „Fuck“! Das ist Programm. Es wird phasenweise geflucht, gevögelt, dass man nach Lektüre des Buches den Unterschied zwischen „Hallo, Schatz!“ und „Fick dich!“ kaum noch bemerken wird. Deftige erste Sätze stehen in einer langen, wunderbaren Tradition. Sternstunden der Kriminalliteratur beginnen zum Beispiel mit Don Winslows „Zeit des Zorns“. Kongenialer erster Satz: „Fickt euch.“ Nun könnte man denken: beides gleich gut, gleich schlecht, egal. Ganz und gar nicht! Nein. Don Winslow beherrscht — zumindest noch in diesem Roman —das Spiel mit der Doppeldeutigkeit vom ersten Buchstaben an. Romanfiguren, Leser: Wer ist denn nun gemeint? Herrlich! Leserbeschimpfung im ersten Satz. Ein Traum. Erinnerungen an Peter Handkes „Publikumsbeschimpfungen“ damals in den 60ern. Fickt euch. Danach ein Punkt. Man könnte sprachwissenschaftliche Abhandlungen darüber schreiben. Eine Feststellung, kein Imperativ. Zwischen vergleichbaren Worten dieser beiden Romane liegen Welten.
Vom Schwitzen, Einseifen und Duschen
In „Der Pavian“ wird deftig formuliert, knappe Sätze, manchmal auf Ausrufe reduziert. Da wird das „beste Stück eingeseift“, „Zehn-Punkte-Bräute duschen“ und (Brust)-„Warzen stehen empor“. Wer das witzig findet, lacht auch, wenn anderen auf einer Bananenschale ausrutschen. Diese Psychogramme gehen über die Figurenkonstruktion hinaus. Sie betreffen die Handlung, die innere Haltung zur Welt. Nur leider völlig ohne Ironie. Die Besessenheit aller Figuren mit Sex wirkt überwältigend. Die Männer stehen auf Vergewaltigung. Eine misshandelte Frau führt Tagebuch. Glaubt man zuerst nicht, aber da steht dann „Hallo liebes Tagebuch!“ Dieses Nebeneinander von Schlüpfrigem und Blümchenwelt muss man auch nach dem sechzehnten Lebensjahr noch mögen. Im Roman scheint sich die Freizeit aller Polizisten und Verbrecher entweder im Schlafzimmer oder im Fitnessstudio abzuspielen. Dort wird in enger Kleidung so lange bankgedrückt und ausgeschwitzt, bis die Lesebrille beschlägt.
Fakten und Fiktion
Zum Plot: Protagonistin Amanda kommt nicht über Tod ihrer Schwester weg. Sie trainiert, krempelt ihr gesamtes Leben um und geht zur Polizei. Schneller Aufstieg, gute Frau. Amanda. Klingt nach Disko, Schlager, Siebziger. Sex setzt Amanda Paller im Roman als Mittel zum Zweck ein, weshalb sie mehr als nur ein Eisen im Feuer hat. Auch mit Adnan hat sie ein Verhältnis. Eine heikle Sache für eine Polizistin, weil Adnan ein aktenkundiger Krimineller ist. Er saß mal im Knast, jetzt ist er raus und Kohle muss dringend her. Einen Geldtransporter überfallen, das wär’ es jetzt! Klassischer Auftakt mit Wiedererkennungswert. Frei nach Tschechow sollte man den Dolch auch benutzen, wenn man ihn auf der Bühne zieht. Der komplette Ring der Nibelungen vergeht jedoch, bevor Adnan diesen Geldtransporter überfällt. Dafür fahren wir mit ihm in den Urlaub. Sri Lanka. Auch ein schönes Ziel.
Die Jugoslawen-Mafia hat die Hände auch mit im Spiel. Knallharte Typen, schrecken vor nichts zurück. Amanda versucht derweil herauszufinden, weshalb ihre Schwester Sanna sterben musste. Und wer ihren Tod zu verantworten hat. War wirklich nur eine Überdosis schuld? Adnan kannte Sanna. Magnus ebenfalls, ein Kollege, ehemaliger Vorgesetzter, ein wirklich übler Kerl. Ihm ist nichts heilig, nicht einmal seine Ehefrau. Auch mit Magnus bändelt Amanda an. Unschwer zu erkennen, dass er etwas zu verbergen hat. Man wundert sich, was bei den Ordnungsbehörden der schwedischen Hauptstadt so alles möglich ist an Voyeurismus, Lug und Betrug, an Amtsmissbrauch und Kungelei. Anna Karolina Larsson, die Autorin, arbeitete selbst bei der Stockholmer Polizei bevor sie sich dem Schreiben widmete. Aber wir LeserInnen trennen selbstverständlich immer sauber zwischen Fakten und Fiktion.
Testosteron
Amanda kämpft sich also weiter durch. Durch Fitnessstudios, Brände, Jugo-Mafia und Behördendschungel. Auf fünfhundertfünzig Seiten fährt ein langsamer Zug. Er macht Halt in jeder kleinen Stadt. Auf den letzten zehn Seiten entblättert sich dann das Komplott. Unterhaltsam werden dilettantische Überfälle geschildert und Adnans Gedankenwelt, die zwischen Ego, nächstem Beischlaf, Überfall und Verwirrung kreist. Sprachlich wird Testosteron groß aufgetischt, die Handlung könnte jedoch ein paar Steroide vertragen, weil jeder Nebenschauplatz, jede Befindlichkeit, jeder Gedankengang einer Figur bespielt wird, bevor endlich wieder etwas Plot-Relevantes geschieht. Was hat es nun auf sich mit dem Pavian? Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, schließen die Kreise sich, denn in Stockholms Hinterzimmern geht es finster zu. Schweden. Doch immer wieder eine Reise wert.
Die vorderen Sitzplätze im Kriminalroman
Sex hatte schon immer einen vorderen Sitzplatz im Kriminalroman, aber eben nicht nur als primitive Männerphantasie. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Das Genre kann viel mehr. Auch Milieustudien können wie zum Beispiel bei Liza Cody feinfühlig und präzise sein. Der skandinavische Krimi vermochte es gelegentlich, Abgründen und Schwermut Farbe und Form zu geben. Bei Larsson gleicht der Schrecken über die gesellschaftlichen Zustände dem Konsum einer TV-Dokusoap. Man fragt sich immer wieder, wie weit die Inszenierung reicht. Echte Anteilnahme kommt dabei nicht auf. Erfreulich: das internationale Personal in „Der Pavian“, Spiegel einer bunten, vielfältigen, schwedischen Einwohnerschaft. Larsson platziert die Kriminalität inmitten der Bevölkerung, was folgerichtig ist und gut. Dazu gehören die Polizei und ihr System, was der Realität näher kommt als jeder zu Literatur gewordene Psychopath, der blonde Jungfrauen in Scheiben schneiden muss. Das Böse ist eben mehr als nur ein Einzelner. Warum sollten Romane auch so einfach funktionieren? Die Realität jedenfalls tut uns diesen Gefallen nicht.
Anna Karolina Larsson, Der Pavian, Roman, Berlin Verlag, Berlin 2016, (schwedische Originalausgabe bei Norstedts: 2014). Übersetzt von Max Stadler. 560 Seiten, 9,99 Euro