Geschrieben am 15. Juni 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Gioacchino Criaco: Schwarze Seelen

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Von einer untergegangenen, archaischen Welt in den kalabrischen Bergen erzählt der italienische Autor Gioacchino Criaco in seinem Debüt „Schwarze Seelen“. Von Frank Rumpel.

Es ist eine geschichtsträchtige, mit Mythen und Traditionen vertraute, aber auch strukturschwache Gegend auf der italienischen Stiefelspitze, die er bestens kennt, weil er von dort stammt. In den abgeschiedenen Dörfern lebten die Leute in den 1960er und 70er Jahren noch von der Ziegenhaltung und mancher verdiente sich etwas dazu, indem er Entführungsopfer der N’drangheta, der kalabrischen Mafia, versteckte, bis Lösegeld bezahlt wurde.

Criacos drei junge Protagonisten, die sich Söhne der Wälder nennen, wollen raus aus dieser von Armut geprägten, engen Welt. Ihr Ausweg: das Gymnasium. Das Geld dafür besorgen sie sich erst mit Diebstählen, später mit bewaffneten Überfällen. „Wir wurden gierige Raubvögel“, sagt der Erzähler. Nach der Schule gehen sie auf die Universität in Mailand. Um dort während der 1980er Jahre über die Runden zu kommen, beginnen sie zunächst mit Heroin, später mit Kokain zu dealen – und das in immer größerem Stil. Dafür kooperieren sie mit den rechtsextremen Grauen Wölfen in der Türkei und später mit den südamerikanischen Kartellen. Um die Drogen zu verkaufen, heuern sie Jungs aus dem Aspromonte an, die das Geld zurück in die Heimat tragen. Wo zuvor einfache Hütten standen, werden Villen gebaut. Doch die drei Protagonisten fühlen sich gegenüber ihren Lieferanten weitergehend in der Pflicht. Und das heißt: Sie töten im Auftrag, etwa einen arabischen Politiker in Frankreich, ohne weiter Fragen zu stellen.

Der Hintergrund

Es ist eine eindringliche Geschichte über Menschen seiner Generation, die der 1965 geborene Criaco seinen Protagonisten da im Rückblick erzählen lässt. Die Geschichte ist fiktiv und doch sehr real. Criaco selbst wuchs im kalabrischen Africo auf, einem Dorf, das ursprünglich in den Bergen lag, in den 1960er Jahren aber von den Behörden geräumt wurde, nachdem es eine Überschwemmung gab und Erdrutsche drohten. Der Ort wurde samt seiner Bewohner kurzerhand ans Meer verlegt, in ein aus dem Boden gestampftes neues Africo. Seine Großmutter, erzählte Criaco in einem Interview, sei aus Protest kein einziges Mal am Strand gewesen. Criaco verließ die Gegend nach der Schule, studierte in Bologna Jura, arbeitete lange als Anwalt in Mailand. Sein Vater wurde 1993 in einer Blutfehde ermordet. Sein lange untergetauchter Bruder Pietro, der damals zu den meistgesuchten Kriminellen Italiens gehörte, wurde 2008 verhaftet und zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. Criaco selbst kam erst spät zurück in seine alte Heimat und näherte sich ihr schließlich auch fiktional an.

Sein 2008 veröffentlichtes Debüt wurde 2014 von Francesco Munzi verfilmt und der traf die vorhandenen Strukturen, die Machenschaften der Mafia und deren Verstrickungen mit korrupten Politikern wohl ziemlich gut. Einige Bürgermeister aus der Gegend wollten die Ausstrahlung des Films auf Sky verhindern. Nun soll aus dem Stoff auch eine Fernsehserie entstehen.

Von neuen Zwängen eingeschnürt

Criacos Protagonisten wollen ein selbstbestimmtes Leben und sind bereit, dafür ihr Seelenheil aufs Spiel zu setzen. Bereits mit 19 Jahren sind sie Mörder und damit im Volksglauben zu Schwarzen Seelen geworden, die von dieser Seite nichts mehr zu erwarten haben. „Wir entschieden uns, in Freiheit, aber bewaffnet zu leben, bereit, uns zu verteidigen und anzugreifen. Ehrenmänner und Bullen waren gleichermaßen unsere Feinde“, heißt es da. Allerdings merken sie viel zu spät, dass sie auch in Mailand, als Bosse, die im Hintergrund agieren, auch nur wieder von neuen Zwängen eingeschnürte Handlanger und zudem längst zu dem geworden sind, was sie verabscheuen: Zu skrupellosen Mafiosi.

„Schwarze Seelen“ ist ein starker Roman, dessen Stoff gerade in der kühlen, beiläufigen, auch distanzierten, aber sehr präzisen Art des Erzählens seine Kraft entfaltet. Doch sie verleiht ihm auch eine gewisse Sprödigkeit, lässt ihn bisweilen so verschlossen wirken, wie die Bergbewohner, von denen er erzählt.

Frank Rumpel

Gioacchino Criaco: Schwarze Seelen (Anime Nere, 2008). Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag, Wien 2016. 230 Seiten, 22,90 Euro. Verlagsseite zum Buch.

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