Geschrieben am 10. Mai 2010 von für Bücher, Litmag

Roman Graf: Herr Blanc

Aus dem Leben eines Pedanten

Für Herr Blanc wurde der 1978 in Winterthur geborene Roman Graf mit dem Studer/Ganz-Preis 2008 für das beste unveröffentlichte Prosadebüt ausgezeichnet – Frank Schorneck hat sich den Roman angeschaut.

Grafs Roman gibt Einblick in verschiedene Lebensabschnitte eines Sonderlings, wie er seinesgleichen sucht. Zu Beginn lernen wir Herrn Blanc kennen, als ihm in seinen frühen Vierzigern gerade frisch gekündigt wurde. Er befindet sich auf dem Weg zu seiner Mutter, die offenbar Dreh- und Angelpunkt seines Lebens ist. Eine Romanze, der er immer noch nachtrauert, liegt auch schon über zwanzig Jahre zurück: Eine Mitstudentin namens Heike hat damals im Auslandsstudienjahr in Cambridge offenbar eine Lebendigkeit in ihm geweckt, die seitdem nicht mehr erkennbar ist. Herr Blanc ist seinem Namen entsprechend ein blasser Charakter, zeigt gewisse Anzeichen von Autismus. Ereignisse, die dem üblichen Ablauf widersprechen, sind ihm zuwider. Die Schweiz ist sein ein und alles, vor Reisen ins unsichere Ausland hat er Angst – und zu den unsicheren Reiseländern zählt er bereits das benachbarte Deutschland. Dass er damals tatsächlich das Land verlassen hat, geschah bei weitem nicht freiwillig. Doch einen eigenen Willen zu formulieren und durchzusetzen, ist ihm fremd. Einzig in seinen Gedanken vermag er aufzubegehren, sich zu echauffieren – nach außen dringt von seinem oft aufgewühlten Gemütszustand nichts.

Gut durchkomponiertes Psychogramm mit Glaubwürdigkeitslücke

Als die Mutter stirbt, wird es Zeit für eine neue Frau in seinem Leben. Die Ehe mit Vreni ist eine reine Vernunftsehe. Die beiden haben außer ihrer jeweiligen Trauer – Vreni um ihren ersten Mann, Herr Blanc um seine Mutter – keine wirklichen Gemeinsamkeiten und verletzen sich regelmäßig gegenseitig. Roman Graf entwirft gerade in der Schilderung dieser Ehe einige tragikomische Momente von ungeheurer Tiefe. Wenn zum Beispiel Herr Blanc darauf wartet, dass ihm Vreni einen versprochenen Eistee bringt und er in der unendlich anmutenden Wartezeit einem Erstickungsanfall anheimzufallen glaubt, dann liegen Loriots Szenen einer Ehe zum Greifen nahe. Doch der humoristische Einschlag dieser und anderer Szenen erhöht nur die Fallhöhe, aus der Graf seine Figuren auf den harten Beton der Realität zurückwirft. Vreni hat nie die Möglichkeit, an die verstorbene Mutter heranzureichen, einzig die in der Rückschau glorifizierte Heike hätte das in Herrn Blancs Augen vermocht. Erst die Nachricht von Heikes Tod in der Ferne bringt ihn dazu, über seinen Schatten zu springen und den Spuren einer Liebe zu folgen, die er in jugendlichem Alter verspielt hatte.

Roman Graf erzählt unsentimental und unaufgeregt aus dem Leben eines Pedanten, verteilt kleine Seitenhiebe auf die Schweiz bzw. die Schweizer. Nur eines vermag sein gelungenes Debüt nicht schlüssig zu erklären: Was fand die selbstbewusste und lebenslustige Heike nur an diesem verhuschten Charakter? Denn entgegen aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich nicht um eine einseitige Schwärmerei, auch Heike soll sich ein Leben lang an ihren Studienfreund erinnert haben. An der Stelle wird das gut durchkomponierte Psychogramm dann doch unglaubwürdig …

Frank Schorneck

Roman Graf: Herr Blanc.
Limmat 2009. 218 Seiten. 22,80 Euro.

Foto von Stefan Kubli

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