Zukunft mit Tradition
–„Macht“ entführt uns in das Jahr 2031. Die Erde steht vor dem finalen Kollaps. Die Politik, an deren Hauptschalthebeln nun Frauen sitzen, versucht mit Notmaßnahmen das Ende noch hinauszuzögern. Fleisch oder Benzin zum Beispiel gibt es nur im Tausch gegen CO2-Gutscheine, mit denen ein reger Handel betrieben wird. Die Jungbrunnenpille Ephebo lässt alte Menschen ganz schnell wieder jung und spritzig wirken, zum Preis eines extrem erhöhen Risikos, in den nächsten Jahren an Krebs zu erkranken. Smartphones sind von riesigen Compunikatoren ersetzt worden, statt gegooglet wird geshammt, man zahlt mit Westos.
Im Ich-Erzähler Sebastian begegnet dem Leser ein desillusionierter Zyniker, ein Unsympath vor dem Herren. Die Übermacht der Frauen vermag er nur zu kompensieren, indem er in seine Ex-Frau, ehemalige Staatsministerin, im eigenen Keller als Sklavin gefangenhält. Außerdem nervt ihn sein Bruder, der gehirngewaschenes Mitglied einer Apokalypsensekte ist. Da begegnet Sebastian auf einem Klassentreffen seiner großen Liebe Elli, und schon verfällt auch er wieder der romantischen Idee, man könne aus den letzten Jahren der Erde doch noch etwas Schönes herausholen. Doch dazu muss er seine Frau loswerden…
Wer Duves Sachbücher kennt – allen voran „Warum die Sache schiefgeht“ und „Anständig essen“, der hört hier so manches Mal die Stimme der Autorin durch die ihrer Protagonisten hindurch. Und da Duve Humor besitzt, ist „Macht“ über weite Strecken ein nicht nur gruseliges, sondern auch lustiges Buch geworden. Wie der Alltag der Menschen in der Zukunft aussieht, das präsentiert uns Duve in dieser klassischen Dystopie auf sehr subtile Weise, wie nebenbei. Die Kinder bekommen keine Noten mehr, sondern eine „Sonne mit Wolke“ (schätzungsweise eine 2+), als Fremdsprache haben sie Chinesisch, und „wie fünfzig sehen heute doch höchstens noch die Neunzigjährigen aus“.
Und doch: Karen Duve macht es in ihren neuen Roman dem Leser keinesfalls leicht. In den schlimmsten Passagen musste ich mich selbst damit beruhigen, dass es ja schließlich die Duve sei, die hier die Regie führe – sie würde doch niemals die Arschlöcher gewinnen lassen! Aber es gibt in „Macht“ tatsächlich wenig mehr als Dummbeutel und Arschlöcher, an keiner Figur kann der Leser seine Hoffnung heften. Nur zwischendurch schleichen sich ein paar zu offensichtliche Gemeinplätze und Kalauer in diese kluge Geschichte.
Ihrem Roman vorangestellt hat Karen Duve die fünf Schritte der Gehirnwäsche, entnommen einem Artikel aus dem Herrenmagazin OUI der 1970er-Jahre. Die Zukunft von „Macht“ hat Tradition.
Tina Manske
Karen Duve: Macht. Roman. Galiani-Berlin 2016. 416 Seiten. 21,99 Euro.