Geschrieben am 15. Februar 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Karin Slaughter: Pretty Girls

Karin-Slaughter-Pretty-GirlsSchrecken und Schauder

In der Pressemappe zu “Pretty Girls” erklärt Karin Slaughter in einem Interview – man darf vermuten, dass sie kokettiert -: “Ohne den kleinsten Hintergedanken zu haben, kann ich sagen, dass die Leser von Thrillern die schlausten und attraktivsten Leser überhaupt sind!” Damit wäre wohl ein weiteres, bislang unerforschtes Mysterium endlich geklärt. Doch trotz der Schmeichelei schleichen sich unbehagliche Zweifel bezüglich dieser kühnen Behauptung ein. Nun, ein Blick auf die Kollegenrunde beruhigt, das sind alles hochgescheite und äußerst attraktive Köpfe. So weit also so gut. Bleibt jetzt nur noch zu prüfen, ob sich der Thriller “Pretty Girls” auch als anspruchsvolle Lektüre behaupten kann. Von Anna Veronica Wutschel.

Halten wir auch diese Antwort vorab simpel: Karin Slaughters nach “Cop Town” zweiter Stand-alone-Thriller verstrauchelt sich in all den Einheitsbrei-Bestseller-Fallen, aus denen Slaughter ihre drei im Übrigen äußerst erfolgreichen Serien (Grant-County, Will Trent sowie die Georgia-Serie) zusammengebastelt hat. Vom Schicksal hart gebeutelte, attraktive, smarte Klischee-Figuren werden unter unglaubwürdigen Umständen in noch härtere Lebenssituationen geschickt, die sie trotz aller oft absurden Widrigkeiten mehr oder minder beeindruckend meistern. Am Ende steht früher oder später die erlösende Katharsis, die griechische Tragödie lässt grüßen. So serviert Karin Slaughter also eine Menge Schrecken und Schauder (aufgeschlitzte Bäuche, gemarterte, vergewaltigte Opfer, Leichenschändung, Waterboarding mit Urin usw.), so dass der Leser den einst geforderten Jammer, die Rührung schlechterdings mitempfinden wird. Was “Pretty Girls” betrifft, möchte man indes vor allem wegen des hanebüchenen Plots jammern.

Der Plot, näher beleuchtet

1991 verschwindet die wunderschöne 19-jährige Julia Caroll spurlos. Die Ermittlungen, die von der ortsansässigen Polizei eher nachlässig und unprofessionell geführt werden, laufen ins Leere. Das Verschwinden, das Nicht-Wissen, was aus der Tochter geworden ist, belastet die Eltern, die bislang eine Bilderbuchehe führten, derart, dass der einst geschlossene Bund fürs Leben kläglich daran zerbricht. Auch die beiden ebenfalls wunderschönen Töchter Lydia und Claire können den Verlust der älteren Schwester niemals verarbeiten. Die ältere, unabhängige Lydia verliert sich in Alkohol, Drogen und Sex-Eskapaden. Die jüngste, unselbstständige Claire, scheint sich diesem Familienfiasko wie unsichtbar angepasst zu haben. Claire ist ebenso klug wie aufmerksam und stets bemüht, nicht aufzufallen.

24 Jahre später hat sich die Familie immer noch nicht von dem damaligen Drama erholen können. Während sich die eine Schwester mühsam ein finanziell ungesichertes Kleinbürgerleben am Existenzminium aufgebaut hat, dabei aber von einem wunderbaren Mann und einer großartigen Tochter unterstützt wird, führt die andere wie unbeschwert ein beneidenswertes Luxusleben mit einem sie auf Händen tragenden Mann. Doch egal wie hübsch die Fassade nach außen gebaut ist, dahinter, im tiefsten Innern, brodelt es.

Männer sind Schweine, klar

Vor allem, da wieder einmal ein Mädchen unauffindbar verschwunden ist. Weil Anna Kilpatrick – wenn wundert’s noch, der Titel ist Programm – wunderschön ist, überschlagen sich die Medien in der Berichterstattung. Und all die verdrängten Gefühle, die Hoffnung(slosigkeit), die Ängste, die Trauer wirbeln in den Protagonisten wieder auf. Hier legt die Story eigentlich erst los. Paul Scott, der erfolgreiche Architekt, der völlig verklemmte, aber beste aller besten Ehemänner drängt seine Frau Claire eines Abends auf dem Nachhauseweg beherzt in eine dunkle Gasse, um sie ganz ungebührlich und in aller Öffentlichkeit mit heftig lustvollem Intimverkehr zu überraschen. Claire reagiert verwirrt, doch bleibt ihr keine Zeit zum Nachdenken, denn im Zuge eines Überfalls und dem sich anschließenden Handgemenge wird Paul erstochen. Als dann noch während seiner Beerdigung in Claires Villa eingebrochen wird, und umgehend das FBI ermittelt, wird sie nervös. Sie beginnt in den Sachen ihres verstorbenen Mannes zu stöbern, und bald drängt sich der Verdacht auf, dass der liebevolle, pingelige Ehemann nicht nur ein böser Serienvergewaltiger sein könnte, sondern womöglich auch noch ein Snuff-Movie-Produzent. Mit dem erschütternden Beweismaterial wendet sich Claire hilflos an die Polizei, die den Hinweis indes als Irrtum abtut. (“Männer sind Schweine, stimmt’s?… Aber dafür ist das Internet gewissermaßen da, nicht wahr?“) Da Claire trotz derartig kluger Weisheiten, dem Polizisten nicht vertraut, versöhnt sie sich in der Notlage rasch mit ihrer Schwester Lydia, um die Wahrheit hinter einer Menge unvorstellbarer Verbrechen aufzudecken.

Auf seichtem Noli-Me-Tangere-Unterhaltungsniveau

Diese hanebüchene Story wird in bester Seifenopermanier routiniert erzählt. Karin Slaughter wechselt die Perspektiven, wandelt in der Vergangenheit ebenso gekonnt wie in der Gegenwart und verhaspelt sich dabei in lauter unglaubwürdigen Oberflächlichkeiten. In der Tat überzeugt die zeitweise ergreifende Stimme des Vaters, der sich, zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankend, in Tagebucheinträgen an seine verschwundene Tochter Julia wendet. Doch selbst wenn man über den um diese Passagen abstrus gebauten Plot hinwegsehen möchte, nähert sich Slaughter dem Trauma, dem Leid der Opfer, dem der Hinterbliebenen, der Annäherung der Schwestern nur scheinbar differenziert.

Das in “Pretty Girls” mehrfach gespiegelte Täter-Opfer-Verhältnis, das Verhältnis der Hinterbliebenen untereinander, die ebenfalls Opfer sind, wird weniger fein ausgelotet, als vielmehr konsequent seicht ausgeschlachtet. Mal wird ein wenig auf die Tränendrüse gedrückt – Herzschmerzalarm -, dann bleibt einem der Atem stocken – wahlweise Dunkelheit oder blutige Brutalitäten -, dann wird wieder zum Spannungsabbau munter gekichert. Das mag scheinbar Empathie hervorrufen, bleibt aber erzählerisch immer auf seichtem Noli-Me-Tangere-Unterhaltungsniveau. Die unzähligen Wiederholungen, Slaughters Vorliebe, auch das kleinste Detail weitschweifig zu beschreiben, sich häufende lapidare Sätze wie: “Wir sind keine Superheldinnen”, “Das leerstehende Haus hatte etwas Düsteres an sich”, oder: “Der Wendeltreppenaufgang sah aus wie das Arschloch eines Roboters.” – ja, über letztere Assoziation denkt man dann doch nach – schmälern selbst das kleinste Lesevergnügen.

Anna Veronica Wutschel.

Karin Slaughter: Pretty Girls. Aus dem Amerikanischen von Fred Kinzel. Harper Collins, Hamburg 2015. 480 Seiten. 19,90 EUR.

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