„McBain passt immer“
Joachim Feldmann, ein Kenner der Polizeiromane von Ed McBain, über Ken Bruens Zitier- und Referenzfeude in Sachen McBain.
Hartnäckig hält sich der Glaube an die zivilisierende Wirkung der Literatur. Dass die Welt ein besserer Ort wäre, hätte der Schriftsteller Robert Walser 100.000 Leser, soll einst dessen Kollege Hermann Hesse behauptet haben. Ein noch besseres Preis-Leistungsverhältnis schreibt der Radiokünstler Andreas Ammer dem Werk des bald 85-jährigen (und zugegeben großartigen) Dichters Ror Wolf zu: Ein Schritt heraus aus dem irdischen Jammertal sei schon garantiert, läsen nur 1.000 Leute mehr von „Hans Waldmanns Abenteuern“ oder der „Gefährlichkeit der großen Ebene“. Vielleicht war auch nur gemeint, dass Ror Wolf in einer besseren Welt mindestens 1.000 Leser mehr hätte. Den Gegenbeweis zu erbringen, ist jedenfalls schwierig bis unmöglich, zumal der tatsächliche Effekt fiktionaler Texte kaum kalkulierbar ist.
Nehmen wir Tom Brant, zwielichtiger Held einer ganzen Romanreihe des irischen Autors Ken Bruen. Der Detective Sergeant von der South East London Police Squad liest ausschließlich die Bücher Ed McBains (1926 – 2005). Das behauptet er zumindest gegenüber seinem Kollegen Nash Porter, in dessen Bücherregal sich literarische Schwergewichte wie Harold Brodkey finden. Falls er je von McBain gehört haben sollte, lässt er es sich nicht anmerken. Populäre Spannungsliteratur mit hohem Identifikationspotential ist seine Sache nicht. (Für Brant hingegen ist ganz klar, dass ein Autor, den der homosexuelle Porter schätzt, ebenfalls schwul sein muss, zumal wenn er wie Brodkey an einer HIV-Infektion gestorben ist.)
Aber wie ist es um Tom Brants McBain-Lektüre bestellt? Hat er übersehen, dass es sich bei allen Identifikationsfiguren aus dem 87. Polizeirevier, von Steve Carella über Meyer Meyer bis hin zu Arthur Brown, um aufrechte Polizisten handelt, deren berufliche Praxis nur entfernt etwas mit seinen eigenen professionellen Standards zu tun hat? Brant ist ein schmutziger Bulle, der seine Stellung skrupellos ausnutzt. Er gibt auch gar nicht vor, ein anderer zu sein. Selbst unter seinen wenig zimperlichen Kollegen ist er berüchtigt. Und wer ihm, wie der Polizeipsychiater Hazel, in die Quere kommen könnte, hat sehr schlechte Karten. Dass er seinen Job dennoch gut macht, versteht sich von selbst. In der Welt, die der Bruen in seinen Kriminalromanen konstruiert, hätten McBains anständige Ermittler kaum eine Chance.
Hommage und Parodie vereint
Auf der anderen Seite sind die Verhältnisse nicht so eindeutig. Der simpel gestrickte, publicitygeile Polizistenmörder Barry Weiss, mit dem es Brant und Kollegen zu tun bekommen, würde auch in einem Roman aus dem 87. Polizeirevier keine ungewöhnliche Erscheinung abgeben. Zumal McBain noch in anderer Hinsicht Reverenz erwiesen wird. Das Buch, welches Nash Porter von Brant förmlich aufgedrängt bekommt, ist eine alte Penguin-Ausgabe von „Copkiller“, jenem Roman, mit dem 1956 die Reihe um Carella & Co. begann. (Der deutsche Titel „Polizisten leben gefährlich“ trifft die Sache nicht so genau.) Hier dient die Mordserie allerdings nur zur Vertuschung des „eigentlichen“ Verbrechens, während es Barry Weiss tatsächlich darum geht, genau acht Polizisten umzubringen. Schließlich ist acht seine Glückszahl, und sein Glück wäre perfekt, wenn sein Name irgendwann in einem Atemzug mit denen anderer Serienkiller genannt würde. Denn im Unterschied zu Brant pflegt Weiss die identifikatorische Lektüre. Und er bevorzugt „wahre Fälle“. „Soziopathen, Psychopathen, Serienmörder, davon konnte er nie genug kriegen“, heißt es in einem kleinen Exkurs zu seinen Lesegewohnheiten.
Weitere Erklärungen braucht es in diesem literarischen Universum nicht. Ken Bruen ist ein mit allen Wassern gewaschener Erzähler, der gekonnt und mit sichtlichem Spaß an der Sache Hommage und Parodie vereint, auch darin ist er Ed McBain nicht unähnlich. Nash Porter übrigens gibt Brant das geliehene Buch ungelesen zurück. Es sei ihm gerade nicht passend erschienen. Worauf Brant die einzig korrekte Antwort gibt: „McBain passt immer.“ Ein Rat, den man beherzigen sollte. Auch wenn die Welt dadurch garantiert kein besserer Ort wird.
Ken Bruen: Brant. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Len Wanner. Polar Verlag, Hamburg 2017. 251 Seiten, 16,00 Euro.