Geschrieben am 15. Februar 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Lee Child: Make Me

Lee Child Make MeÜber die Ästhetik des Augenblicks

In seinem neuesten Thriller „Make Me“ schickt Lee Child seinen in allen Kampfsituationen erprobten Helden und Meisterschützen mit dem Zug in das von Gott verlassene Kaff „Mothers Rest“. Von Katja Bohnet

Ruhig ist es in „Mothers Rest“. Gefährlich ruhig. Jack Reacher, Drifter und Ex-Militärpolizist, steigt eigentlich nur aus, um zu ergründen, warum der Ort genau diesen Namen trägt, was bis kurz vor Schluss des Romans ein Mysterium bleiben wird. Aber am Bahnsteig trifft er Michelle Chang, Ex-FBI Agentin, jetzt Privatermittlerin, die ihren Kollegen vermisst. (Der Leser weiß mehr als die Helden des Romans, weil er es schon auf der ersten Seite erfahren hat: Der Mann ist tot.) Doch Reacher hilft den Frauen — so ist er nun einmal —, weshalb es ungemütlich für diejenigen wird, die Dreck am Stecken haben. „We can’t fight thirty people. To which Reachers natural response was: Why the hell not?

Genau so wie es im Kino nicht immer der französische Existenzialistenfilm sein muss, darf es auch im Thriller einfach mal nur Action geben. Reacher richtet die Bösen, kompromisslos und mit absoluter Konzentration, da gibt es kein Vertun. Und so fährt Reacher mit Chang durch Weizenfelder auf der Suche nach den dunkelsten, abartigsten Seiten der menschlichen Existenz. Man müsste nicht durch mehrere US-amerikanische Staaten reisen, um fündig zu werden, aber im Land der unbegrenzten Möglichkeiten dehnt sich auch die Dunkelheit bis in unergründliche, menschliche Tiefen aus.

Lee Child hat ein Händchen beim Beschreiben dieser amerikanischen Landschaften. Genau so wie sich die Felder bis zum Horizont erstrecken, weiß Child auch dem einzelnen Augenblick im Roman Bedeutung zu verleihen wie kaum ein anderer. Vergessen Sie mal französische Schriftsteller und Gebäck! Die Kontrahenten stehen sich gegenüber, der Leser wartet darauf, dass endlich Kugeln fliegen, aber Child nimmt sich seitenweise Zeit, im Kopf seines Helden jeden möglichen Ausgang, jede Kampfvariation, jede Herangehensweise mit fast wissenschaftlicher Präzision zu beschreiben. Bis endlich ein Schuss fällt, hat sich eine mörderische Spannung aufgebaut. Lee Child erweist dem Moment die Ehre, auch wenn das manchmal kaum auszuhalten ist.

Auch dank Reacher, dieser überlebensgroßen Figur, ist Childs Stil schnörkellos, lakonisch, gespickt mit  trockenem Humor. Man könnte es auch Zynismus nennen. Oder subtile Kritik an einer Nation der Sport- und Waffennarren, wo jeder Gimpel eine Knarre tragen und auch benutzen darf. Drei Männer fallen kurz hintereinander durch Reachers exakte Schüsse.

„A triple play.

Unassisted.

Baseball immortality.“

Nach gefühlten fünfundzwanzig Reacher-Abenteuern sitzt jede Wendungen genau. Kein Ende bleibt offen; jeder Ball wird bis zum Schluss in der Luft gehalten, bis er elegant wieder aufgefangen wird. Große Geräte kommen zum Einsatz. Keine Panzer, diesmal, sorry, leider nicht. Aber immerhin ein New Holland Bagger. Gigantisch, drunter macht Lee Child es einfach nicht.

Die Geschichten, die der Autor erzählt, porträtieren einen Helden, der vor keiner brutalen Handlung zurückschreckt, der aber auch ein ausgeprägtes soziales Gewissen und Verständnis für die Schwachen und Benachteiligten besitzt. Selbstjustiz steht dennoch oder gerade deshalb hoch im Kurs. Schlecht fühlt sich Jack Reacher deshalb nie. Systemkritik trifft auf Sarkasmus, wenn Chang feststellt: „The rich are getting richer and the poor are getting poorer, and that’s good news for the bodyguard business.“

„Make Me“ besitzt nicht den Drive der ersten Romane dieser Reihe. Reacher ist älter geworden, und seine Stammleser ebenfalls. Den gemächlichen Gang der Geschichte werten einige Höhepunkte massiv auf. Zum Beispiel eine starke Wohnzimmerszene, wie aus einem Horrorfilm, die in einem Flur ein skurriles Ende finden muss. Dafür, dass Lee Childs Romane fest im Mainstream verankert sind, weisen sie genug Spitzen und Kanten auf, um mehr als das zu sein. Genau so wie ihr Held. Lee Child ist der Philippe Starck der Kriminalliteratur: Man kann ihn lieben oder hassen, aber man kommt einfach nicht um ihn herum.

Katja Bohnet

Lee Child: Make Me. Bantam Press, 2015. 432 Seiten.

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