Wo ist der 30-Millionen-Dollar Bugatti? Welcher Wein passt zu Flusskrebsen?
Martin Walkers „Grand Prix“ ist der neunte Fall für Polizeichef Bruno – es geht um die Suche nach einem extrem seltenen, verschollenen Bugatti Atlantic aus den 1930er Jahren, aber es ist wie bei allen Bruno-Fällen mal wieder eine Hymne auf die französische Provinz, auf kulinarische Köstlichkeiten und die Symbiose von Mensch und Natur, die offenbar nur im Perigord zu finden ist. Von Peter Münder.
„Grand Cru“ hieß der zweite Band mit Polizeichef Bruno, „Schwarze Diamanten“ war Brunos dritter Fall, in dem es um kriminelle Machenschaften und Rivalitäten chinesischer und vietnamesischer Gangs ging, die mit dem Verkauf teurer Trüffeln das große Geld machen wollen. Der vierte der inzwischen neun Bände starken Serie nannte sich „Delikatessen“, was das Leitmotiv der Bruno-Bände sehr schön umschreibt: Denn im Mittelpunkt stehen eigentlich immer Kochrezepte oder Diskussionen über den besten Wein und ideale Zutaten für einen exquisiten Nachtisch wie Zabaglione (Bruno: „nur mit Eiern von meinen Gänsen“). Der Kriminalfall ist meistens ein dekoratives, attraktives Element, das schnell von kulinarischen Erörterungen verdrängt wird. Übrigens gibt es inzwischen auch ein Kochbuch (Brunos Kochbuch) und einen Küchenkalender (Brunos Küchenkalender 2017, beide bei Diogenes) mit Rezepten aus dem Perigord von Martin Walker, 70.
„Ich koche, also bin ich“ lautet nicht nur Brunos Lebensmaxime; auch seine Freunde und Nachbarn sind auf dem hedonistischen Feinschmecker-Trip. Bruno hat zwar zahlreiche Termine mit dem Bürgermeister, mit Verdächtigen, Anwälten und Polizeikollegen zu absolvieren, nebenher entspannt er sich noch beim Ausritt auf seinem Pferd und bei der Gartenarbeit. Aber viel wichtiger sind ihm die abendlichen Schlemmer-Treffen mit Freunden und attraktiven Frauen und die Vorfreude auf einen prickelnden Tropfen zum raffinierten Mahl.
Als im 2700 Seelen-Nest St. Denis eine Oldtimer-Rallye veranstaltet wird, die den Tourismus ankurbeln soll, taucht ein auffälliges Duo mit einem Jaguar E-Type und einem legendären Bugatti-Rennwagen vom Typ 35/Baujahr 1928 auf, das für Aufsehen und Irritationen sorgt. Sylvestre heißt der großspurige Oldtimer-Sammler und Händler, dem der legendäre Bugatti mit dem hufeisenförmigen Kühler gehört: Er hatte dieses erfolgreichste Rennwagen-Modell aller Zeiten, das in den 1920er und 30er Jahren über tausend Siege eingefahren hatte, für 700 000 Euro („ein Schnäppchen“) gekauft. Nun ist er aber zusammen mit seinem Freund Freddy, einem indischen Rennfahrer, auf der Suche nach dem ab 1933 gebauten noch exotischeren Bugatti-Modell 57SC Atlantic, von dem nur vier Exemplare hergestellt wurden. Für drei Exemplare kann man deren Geschichte und Standorte nachweisen, doch der vierte, der um 1940 während der Kriegswirren angeblich im Elsaß gesichtet wurde, ist spurlos verschollen. Für einen dieser aus Aluminium gebauten Sportwagen, deren genietete Finne sich vom Dach bis hinunter ans Heck zog, hatte ein kalifornisches Museum vor einigen Jahren noch 37 Millionen Dollar bezahlt. Das brachte ihm den hübschen Titel „teuerster Gebrauchtwagen der Welt“ ein.
Die Suche nach so einer rasanten Rarität ausgerechnet in der Dordogne, das entdeckt Bruno dann nach eigenen Recherchen, ist keineswegs abwegig: Es gab in Frankreich diverse Scheunenfunde mit automobilen Raritäten; außerdem hatte man aus dem Fundus des Bugatti-Werks während des zweiten Weltkriegs einige Exemplare noch vor dem Zugriff der deutschen Besatzer retten können.
Schon Henry Miller schwärmte
Martin Walker weist im Nachwort auf die Entstehungsgeschichte von „Grand Prix“ (O-Titel „Fatal Pursuit“) hin: Es war seine Tochter Kate, die sich als Motorpsort-Journalistin und Formel 1-Expertin für die Geschichte des verschollenen Bugatti Atlantic mit der Chassis-Nr. 57453 interessierte, die Bezüge zum englischen Bugatti-Rennfahrer William Grover-Williams erkannte, der im Krieg mit dem Fallschirm über Frankreich absprang und auf diese spannende Perigord-Connection hinwies. Für den Perigord-Fan Walker war das natürlich ein Fest. Der ehemalige Guardian-Reporter war schon beim ersten Besuch bei Les Eyzies vor vierzig Jahren von dieser Region mit „köstlichen Lebensmitteln und exzellenten Weinen“ begeistert und erwarb dann mit seiner Ehefrau einen alten Bauernhof, den er umbaute. Für den Oxford-Historiker Walker stellt diese Gegend mit ihren vielen Burgen und Höhlenmalereien auch ein über 40 000 Jahre altes Kulturdenkmal dar. Im Nachwort zitiert er Henry Miller, der im „Koloss von Marousssi“ begeistert schwärmte:
„Diese großartige, friedliche Region Frankreichs wird uns Menschen immer ein Heiligtum sein, und wenn die Städte dereinst ihre Dichter haben sterben lassen, wird sie Zuflucht und Wiege zukünftiger Dichter sein – die Dordogne lässt mich hoffen für die Zukunft der Menschheit …“
Diese hier so innig beschworene Harmonie von Mensch und Tier, das Kochen mit Produkten aus der Region, all diese auf Nachhaltigkeits- und Umweltaspekte fokussierten Hinweise lassen Störfaktoren wie die beiden Oldtimer-Freaks Sylvestre und Freddi, die mit ihrer Suche nach dem verschollenen Bugatti Millionen machen wollen, natürlich als irritierende Störfaktoren erscheinen. Als Bruno dann von seiner ehemaligen Freundin Isabelle erfährt, dass die beiden Bugatti-Jäger verdächtigt werden, Geldwäsche zu betreiben und Verbindungen zu Terroristen zu unterhalten, schrillen bei ihm natürlich alle Alarmglocken.
Das Zusammenrühren der Zutaten für eine köstliche Creme Brulee aux Truffes mit den Bausteinen des Krimi-Plots und einer heimlichen Love Story, die das gesamte Dorf sofort registriert, wirkt mitunter etwas angestrengt. Denn Walkers Präferenzen sind eindeutig am heimischen Herd zu verorten und das Auflisten seiner Rezepte verläuft viel zu ausführlich. Aber wenn es um die Charakterisierung dieses ländlichen Idylls und seiner Einwohner geht, zeigt der scharfsinnige und genaue Reporter immer noch seine wahre Meisterschaft. Auch das Oldtimer-Ambiente mit seinen nach Öl- und Benzin-Düften schnuppernden Petrolheads hat Martin Walker wunderbar beschrieben, obwohl er ja „nur“ eine uralte 2CV-„Ente“ fährt.
PS: Die Leser des deutschen Oldtimer-Magazins „Motor Klassik“ haben gerade den Bugatti 57 SC Atlantic zum „Klassiker des Jahres“ gewählt. Der Bugatti-Kult wird jedenfalls weiter sehr intensiv zelebriert. Vielleicht komponiert der Minimalist Philip Glass ja demnächst noch eine Bugatti-Oper?
Peter Münder
Martin Walker: Grand Prix (Fatal Pursuit, 2016). Der neunte Fall für Bruno Chef de Police. Aus dem Englischen von Michael Windgassen. Diogenes Verlag, Zürich 2017. 384 Seiten, 24 Euro.