Rote Karte für den Kick-and-Rush-Killer
Fußball-Manager Scott Manson will mit seinem London City Team nur das Champions League Duell gegen Olympiacos in Athen gewinnen und dann aus der griechischen Vorhölle verschwinden. Doch als ein Londoner Stürmer während des Spiels tot umfällt, nehmen die griechischen Behörden Manson und sein Team ins Visier und verhindern ihre Abreise. Dann findet man noch eine Leiche … Philip Kerr, der britische Ausnahme-Autor, der alle Genre-Klassifikationen sprengt, hat nach „Wintertransfer“ mit „Die Hand Gottes“ den zweiten Band seiner Fußball-Thriller-Trilogie nachgelegt. Von Peter Münder.
Wen interessiert eigentlich schon, welche Bücher ein prominenter Autor gerade auf seinem Nachttisch liegen hat? Die „New York Times“ befragt für ihre Rubrik „By the book“ regelmäßig bekannte Schriftsteller und stellte dem aus Schottland stammenden 60jährigen Philip Kerr im Frühjahr Fragen nach seiner aktuellen Lektüre. Die Antworten waren einerseits verblüffend wegen des enormen breiten Spektrums der genannten Bücher: nämlich Shakespeare-Studien von James Shapiro, Charles Darwins Reisebericht auf der „Beagle“, Wittgensteins „Tractatus“, neurologischen Analysen von David Eagleman, einem Astronautenführer für das Leben auf der Erde und einer Le Carre´-Biographie von Adam Sisman. Das dürfte aber seine treuen Leser auch nicht allzu sehr überrascht haben, weil Kerrs Interessengebiete immer schon oszillierten zwischen Wissenschaftsexkursen, Noir-Thrillern, Hi-Tech-Innovationen und historischen Themen (Nazi-Periode, Kennedy-Attentat). Was ich besonders sympathisch finde, ist Kerrs Aversion gegen Schubladen-Fanatiker und auf akribische Genre-Symptome fixierte Erbsenzähler. Aber diesen Aspekt hatte Alf Mayer in seinem glänzenden CrimeMag-Interview mit Kerr ja auch schon längst eruiert. Kerr ist übrigens „Lifelong Fan“ von Arsenal: Damit ist auch sein Fußball-Interesse erklärt, was Leser von „Feuer in Berlin“ (1995), „Newtons Schatten“ (2002) oder „Der Pakt“ (2006) vielleicht überrascht, wenn sie nun eintauchen in diesen heißen, mit griechischen Olivenöl-Gerüchen und Champagner durchtränkten grandiosen Premier-League-Thriller. Oder sollte man eher von einem Kick-and-Rush-Killer-Roman sprechen?
Probleme zuhauf – Manson muss klären, vermitteln und ermitteln
Schon in „Wintertransfer“ war Kerrs Anti-Held Scott Manson als Ermittler aktiv geworden, um den Mord am eitlen, hypertrophen portugiesischen Trainer Joao Zarco (Jose Mourinho lässt grüßen!) aufzuklären – auch mit unkonventionellen Mitteln in halblegalen Grauzonen, was ihm manch böse Überraschung beschert, aber auch als Bonus die Beförderung vom Ko-Trainer zum Trainer und Manager verschafft. Ähnlich läuft es hier in der „Hand Gottes“: Ausgerechnet während eines chaotischen Generalstreiks in Athen muß Manson mit seinem Team gegen Olympiacos antreten. Die Bedingungen im Stadion sind miserabel, die Briten werden endlos schikaniert, die griechischen Fans würden am liebsten mit Flammenwerfern gegen die London City Matadoren vorgehen. Dann stirbt ausgerechnet der beste Spieler im englischen Team, die griechischen Behörden verhängen einen Ausreisestop, effektive Ermittlungen werden aber von den lokalen Behörden verhindert – also muss Manson wieder als Ermittler einspringen und mit allen möglichen Tricks diesem Fall auf den Grund gehen. Schließlich muss er noch überprüfen, ob der mysteriöse Tod einer im Hafen gefundenen Prostituierten mit all den anderen undurchsichtigen Ereignissen zusammenhängt.
Manche Ähnlichkeiten unübersehbar
Manson als Ich-Erzähler bereitet in der Einleitung das große Panorama dieses Jahrmarkts der Eitelkeiten und Gutbetuchten aus: All diese Jungmillionärs-Schnösel, die da mit ihren sauteuren Aston Martin One 77, Lamborghini Veneno (2,4 Millionen Pfund teuer) oder einem Pagani Zonda (1 Million Pfund) herumdröhnen, am liebsten im Hubschrauber ins Stadion brettern würden und sich mit idiotischen Macken wie etwa einer als Haustier gehaltenen Python wichtig tun, benötigten eigentlich einen Psychologen, Seelsorger und Sozialarbeiter in Personalunion räsonniert er da. Und als so eine Art überqualifizierter Sozialarbeiter und Manager fühlt sich Manson eben auch. Die verrückten Details über abergläubische Spieler, die nur mit einem Stück Leopardenfell in der Unterhose oder mit einem bestimmten Talisman ordentlich kicken können, gehören zu dieser filigran eingefädelten Exposition ebenso wie die Beschreibung von krassen Konflikten unter den Kicker-Stars, zu denen auch der extrovertierte Nigerianer Prometheus gehört. Zum realistischen Rahmen passt auch der ukrainische Milliardär und Club-Besitzer Sokolnikov (Ähnlichkeiten mit Chelsea-Boss Abramowitsch sind unübersehbar) sowie der windige afrikanische Eigentümer einer Fußballschulkette, der mit dem Oligarchen verbandelt ist und dubiose Deals als Spielereinkäufer einfädelt.
Locker, süffisant und mit ironisch-sarkastischem Unterton schüttelt Kerr diesen Thriller aus dem Ärmel, der aber auch Teil einer soziologischen Studie über abweichendes Sozialverhalten sein könnte. Über die Prometheus-Sage erfährt man nebenher Wissenswertes, über die Bankenkrise auch, besonders detailfreudig wird Kerr jedoch, wenn es um das Procedere im Umgang mit Escort-Girls geht – kein Wunder, denn der früh pubertierende Philip Kerr wurde bei seinen ersten Expeditionen in den Dschungel der Weltliteratur besonders von DH Lawrence („Lady Chatterley´s Lover“) und Nabokovs „Lolita“ geprägt. Wie Kerr berichtet, hatte er als junger 13jähriger Dachs selbst schon schlüpfrige Soft-Pornos verfasst, die er an seine Kumpels verscherbelte, denn aus dem elterlichen Bücherschrank durfte er die als obszön eingestuften, im Giftschrank weggeschlossenen Schwarten nicht entfernen.
Die mitunter ziemlich drastische Darstellung einer Welt zwischen blutigem Kick-and-Rush, aggressiver Gier und laszivem Plutokraten-Hedonismus hat Kerr in „Die Hand Gottes“ zu einem unwiderstehlichen, mitreißenden Panorama mit einer grandiosen Trainer-Ermittler-Figur gestaltet. Auf den letzten Band dieser Trilogie bin ich jedenfalls schon sehr gespannt.
Peter Münder
Philip Kerr: Die Hand Gottes. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Tropen Verlag, Stuttgart 2016. 400 Seiten, 14,95 Euro.