Geschrieben am 4. November 2015 von für Bücher, Litmag

Roman: Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich

Uhlmann_sophiaDer Postkartenmann, der Tod auf dem Beifahrersitz und der ganz normale Scheiß

— Keine Frage: Thees Uhlmann ist ein begnadeter Erzähler – das kann jeder bezeugen, der einmal auf einem seiner Konzerte erleben konnte, wie Ansagen ungeahnte Haken schlagen und nicht selten zu kleinen Kurzgeschichten werden, voller Herz und Humor. Nun hat der Sänger und Songwriter seinen ersten Roman geschrieben und es tatsächlich geschafft, diesen sympathischen, etwas schnoddrigen, so beiläufig wirkenden Plauderton auch auf Papier zu bannen. Von Frank Schorneck

Als der Tod an der Tür des Ich-Erzählers klingelt, wird für diesen das Leben erst richtig turbulent – denn in der kurzen Zeitspanne, die ihm der Tod noch gewährt, um „über alles nachzudenken“, klingelt es ein weiteres Mal an der Tür. Ausgerechnet Sophia, die Ex des Erzählers, hindert so den Tod an der Ausübung seines Amtes. Sie stört ein fragiles kosmisches Gleichgewicht, was dazu führt, dass der Erzähler zwar zunächst weiterlebt, sie jedoch sterben muss, falls sie sich zu weit von den beiden Männern entfernt. Der Tod hingegen befürchtet, dass er um seinen Job bangen muss – und tatsächlich tauchen bedrohliche, weitaus weniger angenehme Bewerber auf den Fährmannsposten auf. Aus dieser absurden Ausgangslage heraus entwickelt Uhlmann einen irrwitzigen Roadtrip, der zunächst zur Mutter des Erzählers führt (die dann ebenfalls zum Mitreisen verdammt ist) und an dessen Ende das Wiedersehen mit seinem achtjährigen Sohn Johnny stehen soll, zu dem er nie Kontakt haben durfte, dem er aber jeden Tag eine Postkarte malt und schreibt.

Uhlmanns Roman folgt einer eigenen Logik, die man einfach akzeptieren muss angesichts des großen Spaßes, den die Lektüre bereitet. Der Roman lebt von seinen Dialogen: oft lakonisch, prall vor Wortwitz und voller Tempo. Dabei ist der Erzähler ein eher wortkarger und antriebsarmer Fußballfan, der sich noch nicht einmal dazu durchringen kann, sich für einen Lieblingsverein zu entscheiden – Sophia hingegen ist direkt und zielstrebig und dazu eine spitzzüngige Meisterin des Sarkasmus. Und der Tod? Der geht mit staunenden Augen und kindlich-naivem Blick durch eine Welt, die er sonst stets nur für kurze Gastspiele betritt. Durch seine Augen betrachtet auch der Leser die Welt mit ihren scheinbar vertrauten Dingen noch einmal neu.

Situationskomik und amüsante Wortgefechte

Neben höchst amüsanten Wortgefechten bietet der Roman zudem jede Menge Situationskomik bis hin zum Slapstick. Gleichzeitig taucht Uhlmann jedoch auch in die Gedankenwelt seines Erzählers ein. Da sind zuweilen sehr unsortierte und abschweifende Gedankensprünge, die der Erzähler stets abtut als „der ganz normale Scheiß“, den man so denkt – aber dazwischen beschwört Uhlmann Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend in Bildern herauf, die lange im Gedächtnis haften bleiben.

Da stehen insbesondere zwei Vaterfiguren im Vordergrund: Der leibliche Vater, der gemeinsam mit seinem Sohn den Straßenasphalt ableckt, weil der so aussieht wie Lakritz – sowie Sophias Vater, der den jungen Mann, der sein Pfleger im Altenheim war, förmlich auf seine Tochter zugeschubst hat. Gerade die Erinnerung an diese Vaterfiguren verstärkt das Gefühl, nie für den eigenen Sohn dagewesen zu sein, nicht der Vater, sondern der „Postkartenmann“ aus der Ferne zu sein. Wie angeblich jeder Mensch im Angesicht des Todes sein Leben Revue passieren lässt, tut dies auch der Ich-Erzähler, nur hat er hierfür mehrere Tage Zeit. Bei der gemeinsamen Autofahrt wirkt der Roman wie eine Prosa-Interpretation von Uhlmanns Lied „Die Toten auf dem Rücksitz“:

„Wunder dich nicht über die Toten auf dem Rücksitz
Und lass sie für uns Waltzing Matilda singen
Und wunder dich nicht über die Route die ich nehme
Du wirst sehen ich werde uns sicher ans Ziel bringen
über die Berge, die Städte, die Flüsse und Ströme
Und wir werden mit den Toten zusammen singen“

Im Roman sitzt der Tod auf dem Beifahrersitz, doch das Ziel und das Gefühl bei der Fahrt ähneln sich.

Philosophisch anmutende Betrachtungen

Und zwischen allen ironischen Brechungen gelingen Uhlmann immer wieder beinahe philosophisch anmutende Betrachtungen zum Leben, zur Liebe, zum Tod. Zuweilen begibt er sich hierbei auf den schmalen Grat der Kalenderspruchpoesie (deren Bloßstellung er vereinzelt einem seiner Protagonisten überlässt) und manchmal gerät auch der Humor so platt wie das Land hinterm Deich – doch weil sich dahinter einige wahre Perlen verbergen, verzeiht man ihm das gerne.

Insbesondere der Tod, der wie in Wolf Erlbruchs wunderbarem Bilderbuch „Ente, Tod und Tulpe“ als ein treuer Begleiter daherkommt, als offenbar bester Freund, den der Erzähler je hatte, bindet die Sympathien des Lesers an sich – vor allem in seinem Duell mit dem anderen, dem schmerzhaften und unbarmherzigen Tod.

Erfolgreiche Musiker haben es selten schwer, einen Verlag zu finden, wenn sie sich als Autor versuchen wollen – aber nur in wenigen Fällen liefern diese Werke eine Bereicherung für den Buchmarkt. Sven Regener ist so ein Glückfall – und Thees Uhlmann folgt ihm mit seinem Debüt in großen Schritten, Top 10-Platz in der SPIEGEL-Bestsellerliste inklusive. Musik machen darf er aber auch trotzdem gerne wieder.

Frank Schorneck

Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich. Kiepenheuer & Witsch 2015. 320 Seiten, 18,99 Euro.

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